2015-031 HR-01 Squatt

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Fortsetzung Mittwoch, 18.03.2015
Montenegro kommt uns im Vergleich zu Albanien unglaublich sauber vor. Und auch in diesem Land werden die schönsten Grundstücke am Meer mit Hotelanlagen oder Luxusresidenzen verbaut. Wenigstens beweist man hier deutlich mehr Geschmack. Wir übernachten in der Nähe des Plaza Mirista und finden eine schöne, einsame Bucht, die bereits für eine bevorstehende Bebauung gerodet wurde. Kleine Plastikfähnchen links und rechts der Schotterstraße zeigen Minenfelder an.

Donnerstag, 19.03.2015
Unser Aufenthalt in Montenegro war nur von kurzer Dauer. Nicht nur diese Tatsache kommt dem Grenzbeamten (Typus US Marine – kantiges Kinn, Bürstenschnitt) bei der Ausreise ziemlich seltsam vor. Bei ihm schrillen die Alarmglocken, als er hört, dass wir aus Albanien, dem Iran und Tadschikistan kommen. Nun ist für ihn klar: Er hat es hier mit einer internationalen Drogen-, Waffen- und Menschenschieberbande zu tun. Was nun kommt, finden wir wiederum schockierend. So viel zum Thema Vorratsdatenspeicherung: Im Computer findet er weitere Verdachtsmomente.
Bereits letztes Jahr waren wir für einige Tage in Albanien gewesen. Warum?
Wo ist der dritte Mann? Er produziert am Bildschirm ein Foto von Matthias.
Und warum sind letztes Jahr Heppo und Matthias für einen Tag mit einem Leihauto von Montenegro zurück nach Kroatien gereist, nur um gleich darauf wieder nach Montenegro einzureisen?
Nur mühsam können wir ihm unsere Zentralasienreise, unser Bremsendisaster und den folgenden Zwangsaufenthalt von 14 Tagen in Montenegro inklusive Ersatzteilversand nach Dubrovnik (EU Versand) bzw. die Änderung unserer Reiseroute erklären. (Zur  Erinnerung: Statt der Einreise nach Russland über die Ukraine sind wir damals von Albanien aus in das Baltikum gefahren.)  Ja, oft hört sich die Wirklichkeit ziemlich erfunden an. Daher glaubt er immer noch an den großen Fahndungsergfolg und beginnt mit dem Abschrauben unserer Deckenverkleidung. Ich beginne tatsächlich zu schwitzen. Nicht etwa, weil wir wirklich etwas zu verbergen hätten, sondern vielmehr, weil wir unseren Lastwagen mit Liebe, Hingabe und besonderer Sorgfalt ausgebaut haben. Schließlich sieht er ein, dass das Entfernen der Sperrholzplatten eine größere Aktion wäre und holt stattdessen ein radioaktives (?) Handmessgerät zu Hilfe. Wir vermuten, dass er damit die Dichte unserer Isolierung messen und so etwaige Unregelmäßigkeiten feststellen kann. Nach weiteren Verhören und langwierigen Durchsuchungen werden wir endlich als unverdächtig entlassen. Gut so, denn obwohl komplett unschuldig, fühle ich mich bei zu viel Polizeikontakt stets irgendwann wie ein Verbrecher und entwickle ein schlechtes Gewissen. Doch das Beste ist: Den Hund hat wieder einmal niemand entdeckt.

Freitag, 20.03.2015
Bereits letztes Jahr waren wir auf einen verlassenen Campingplatz bei Sibenik gestoßen: Ein Platz – so schön, dass ich schon damals am liebsten geblieben wäre. Diesen Ort haben wir uns für eine kurze Ruhepause vom Fahren ausgesucht. Bei unserer Ankunft finden wir drei junge Menschen beim Holzhacken vor.  Iwa, Luka und Gonzo wohnen bereits seit Oktober letzten Jahres mit ihren vier Terrierdamen hier. Sie haben den Platz besetzt und sich den ehemaligen kleinen Supermarkt zu einem gemütlichen Heim umgebaut. Als Fan von Squatts (Hausbesetzungen) und alternativen Wohnprojekten freut uns das natürlich sehr. Von ihnen erfahren wir, dass der Platz faktisch niemandem gehöre, da der ehemalige Besitzer (Kriegswirren, Zusammenbruch von Jugoslawien, Zwangsenteignung) vor Gericht schon seit Jahren klage. Wahrscheinlich werde es so schnell zu keiner Einigung kommen. Gemütlich haben sie es sich eingerichtet, mit Möbeln vom Sperrmüll, Holzofen und angezapftem Strom (!) vom öffentlichen Netz :). Luka, der Jüngste im Bunde, ist ein begnadeter Koch und bereitet für Bewohner und Gäste selbst gefangenen Aal in Tomaten-Knoblauch-Soße zu, den wir – Vegetarierehre hin oder her – einfach probieren müssen. Zu späterer Stunde traue ich mich, seinen Freund Chleba auf seine verstümmelte rechte Hand anzusprechen. „I was playing with a mine when I was eleven.“, gibt er lapidar zur Antwort.

Samstag, 21.03.015
Tagsüber scheint die Sonne. Doch ein eiskalter Wind fährt einem direkt ins Gebein. Das ist der Nordwind „Bora“, ein kalter, von Sonnenschein begleiteter Fallwind aus dem Norden und das Gegenstück zum „Jugo“, der feuchtwarmes Wetter mit sich führt. „I like Bora; Bora is like Coca…“ meint Chleba zum Thema. Luka erklärt weiter, der Bora mache einen klaren Kopf und eine verschnupfte Nase, was also den Vergleich mit Kokain durchaus erlaubt.

Trotz des kalten Wetters sind wir abends alle in Feierlaune. Ein Lagerfeuer wird geschürt und das Soundsystem aufgebaut. Musikrichtung: Psychedelic & Trance. Wir tanzen um das Feuer. Die Terrier sind außer Rand und Band. Und die Erkenntnis: Terrier sind wohl die einzigen Hunde, die wirklich technokompatibel sind._MG_8572

Sonntag, 22.03.2015
Sonntagmorgen. Es regnet. Die Kroaten sind immer noch wach, als mittags der brave, französische Couchsurfer Virgile angeradelt kommt. Der Erziehungswissenschaftler ist sichtlich überfordert von der wilden Truppe und dankbar dafür, dass er bei uns im Lastwagen Kaffee trinken kann. Auch er ist unterwegs nach Zentralasien, allerdings mit Endziel China. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, unterwegs Schulen mit alternativen Erziehungsmethoden zu besuchen und näher kennenzulernen. Begeistert erzählt er von tollen Projekten in Italien und Frankreich. Eines Tages möchte er vielleicht selbst eine kleine Schule leiten. Hier sein französischer Blog: https://apprendreenpedalant.wordpress.com/

Montag, 23.03.2015
Am frühen Morgen brechen wir auf. Auch Virgile schwingt sich wieder auf sein Fahrrad, denn das Wetter ist gut. Die kroatische Party-WG schläft einen tiefen und längst überfälligen Schlaf. Ich hinterlasse ihnen eine nette Notiz.

Ein Fahrtag steht uns bevor, der uns über die Meeresorgel in Zadar – ein findiger Architekt hat diese an der Uferpromenade erbaut, leise und melodisch singt sie vor sich hin – bis kurz vor Zagreb führt.

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Das war vorher: Albanien