2014-06-02 KZ-05 Altai – Ridder

Dienstag, 01.07.2014
In Öskemen versuchen wir Informationen über mögliche Altaitouren und Guides zu erhalten. Im Reiseführer sind vier Reisebüros aufgelistet; zwei davon existieren bereits nicht mehr. Bei „Altai Expeditions“ erhalten wir eine Nummer von einem Victor aus Ridder, der uns weiterhelfen kann. Außerdem erfahren wir, dass man für das gesamte kasachische Altaigebiet ein Permit benötigt, das man mindestens 40 Tage (besser zwei Monate) im Voraus beantragen muss. Ausnahme ist das Gebiet bei Ridder. Die Straße ist übrigens in einem sehr schlechten Zustand. Wir übernachten kurz vor dem Ort in einer Wiese mit hüfthohem Gras.

Mittwoch, 02.07.2014
Es regnet und windet. Der Altai ist dafür bekannt, dass hier ein für Kasachstan völlig untypisches Klima vorherrscht. Es regnet viel, und es ist auch im Sommer relativ kühl. Ridder liegt nur ein paar 100 Kilometer weiter südlich von Novosibirsk, also Sibirien.

In Ridder rufe ich Victor an. Die Kommunikation klappt immerhin so weit, dass er versteht, was wir von ihm wollen. Zufälligerweise hat er auch gleich Zeit und sitzt 10 Minuten später in unserem mobilen Zuhause. Victor ist ein etwa 50 Jahre alter Mann, der leicht gestresst wirkt und permanent sein Mobiltelefon bemüht. Wir haben es mit einer Berühmtheit zu tun. Victor ist der Geologe, der entdeckt hat, dass die Gegend rund um Ridder von Meteoritenkratern zerfurcht ist. Er veröffentlichte Fachartikel weltweit, so erzählt er uns stolz. Im Inneren der Krater befindet sich ein Gestein kosmischen Ursprungs, mit einer mineralogischen Zusammensetzung, die es sonst nicht auf der Erde gibt. Esoteriker gehen davon aus, dass in dieser Region besonders starke Energien wirken. Nach dem Ende der Sowjetunion wurde aber das Forschungsprogramm eingestellt. Nun betreibt Victor einen kleinen Autozubehörshop in Ridder. Nebenbei hilft er Touristen, sich in der westlichen Altairegion zu orientieren.

Er selbst hat keine Zeit uns zu führen, aber er will uns zu einem Ausgangspunkt bringen, von wo aus wir weiter kommen werden. Die 40 Kilometer Schotterstraße fährt er uns voraus. Wir haben keine Ahnung, was uns erwartet und sind also angenehm überrascht, als wir bei einem Grundstück in Traumlage ankommen. Kleine Holzhütten stehen mitten in einer bunten Blumenwiese, umgeben von einem malerischen Bergpanorama. Wir sind bei Natalia und Sergei in Seri Lug, die hier ein kleines Feriencamp betreiben. Natalia ist eine kleine grauhaarige und ziemlich dominante Frau. Ihr Freund Sergej sieht mit seinem Falten durchfurchten Gesicht und seiner dicken Brille aus wie Opa Maulwurf. Er wird uns bei der Zusammenstellung einer Wanderroute helfen. Resolut weist uns Natalia einen Platz zu, klärt uns über die Kosten auf und fordert zu wissen, wann wir denn gerne eine Banja machen würden. „Äh, Moment, erst mal ankommen… Banja erst nach dem Wandern.“ Uns schweben zwei oder drei Tage mit dem Zelt in den Bergen vor.

Matze-Altai-Sergej

Natalias und Sergejs Häuschen steht dem eines Bauwagenbewohners in nichts nach. Auf ca. neun Quadratmetern finden ein kleiner Arbeitsbereich, Schlafzimmer, Ess- und Küchenecke Platz. Es ist sehr gemütlich. Sergej zeigt uns seine nicht besonders aufschlussreichen topographischen Karten und beschreibt uns eine Tour, die einfach und nicht zu verfehlen sei. Dann nützt er die Gelegenheit, uns selbstgedrehte Videos von seinen Bergtouren zu zeigen. Er hat Talent. Sie zeigen wunderbare Tier- und Pflanzenaufnahmen, unterlegt mit psychedelischer Rockmusik. In einem Filmchen sieht man Seri Lug im Winter, bei Minus 35 Grad, Schneesturm und zwei Meter hohen Schneemauern. Im Sommer wirkt es hier so idyllisch, aber im Winter bekommt man bestimmt einen Lagerkoller – oder man hat eben Zeit für Videobearbeitung…

Donnerstag, 03.07.2014
Herrliches Wanderwetter. Früh morgens machen wir uns an den beschwerlichen Aufstieg. Sergej begleitet uns noch den ersten Kilometer. Da der Weg überflutet ist, zeigt er uns eine abenteuerliche Umleitung über improvisierte Baumstammbrücken. Mit großen Schritten eilt er uns in kniehohen Gummistiefeln voraus. Wir können ihm kaum folgen. Die ersten drei bis fünf Kilometern geht es einen Feldweg steil bergauf. Ich bin ziemlich fertig. Meine Kondition ist nach drei Monaten im Laster nicht die Beste. Gut 1000 Höhenmeter muss man erklimmen. Die Wiesen werden immer bunter und saftiger. Was hier alles blüht, das ist fast schon kitschig.

Als wir die Baumgrenze erreicht haben überrascht uns ein Gewitter. Unter einer knorrigen Kiefer warten wir das Ende des Regenschauers ab. Dann steigen wir noch ein Stück weiter auf, über Schneefelder und Bäche. Da wir alle müde sind, schlagen wir hier unser Zeltlager auf. Morgen wollen wir dann weiter zu den Seen wandern und noch einmal eine Nacht in den Bergen verbringen. Orkanartige Windböen fegen über uns hinweg. Als Windschutz bauen wir eine Steinmauer. Kaum liegen wir in unserem 35 Euro Zelt, beginnt es zu regnen. Es hört die ganze Nacht nicht mehr auf.
Nach drei Stunden Dauerregen und Sturm lässt unser Zelt die Feuchtigkeit durch.

Freitag, 04.07.2014
Morgens erwachen wir mit nassen Schlafsäcken und großen Pfützen am Boden. Sidi liegt zwischen uns und findet es ganz gemütlich. Matthias in seinem Hightech-Zelt hat es besser getroffen, nur die Nähte sind etwas feucht geworden. Der Gipfel ist wolkenverhangen, und ein weiterer Aufstieg nicht sonderlich ratsam. Schon beim Zeltabbau haben wir alle rot geschwollene Finger von der Kälte. Es hat wahrscheinlich nur wenige Grad über Minus, und der scharfe Wind trägt dazu bei, dass es sich noch viel kälter anfühlt. Enttäuscht steigen wir bei Dauerregen wieder hinab ins Tal.

Ein kleiner Trost ist die Banja, die wir uns abends gönnen.

Samstag, 05.07.2014
Heppo und Matthias hatten eigentlich noch mal einen Wanderversuch geplant. Aber das Wetter ist nicht besser geworden. Die Wolken hängen tief in den Bergen, und es regnet. Wir knüpfen noch Kontakte zu der netten, jungen Familie aus Öskemen: Victor, Clara und der kleinen Victoria. Clara hat vor ihrem Kind als Touristguide gearbeitet, und Victor spricht ausgezeichnetes Englisch. Sie geben uns ein paar Tipps für Kasachstan: Die Sibinsker Seen, nur 60 km südlich von Öskemen, sollen sehr schön sein und außerdem ein Treffpunkt der kasachischen Hippie- und Nudistenszene. Das hört sich doch gut an. Auch Natalia und Sergej verabschieden uns herzlich, und wir können ihr kleines Feriencamp in der Bergen guten Gewissens weiter empfehlen.

Altai-Strecke-4588

 

Altai-Strecke-4584

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Öskemen parken wir mitten in der Innenstadt vor der Neuen Moschee am Fluss. Matze und Heppo gehen in der Stadt zum Fußball gucken. Als sie gegen halb zwei Uhr morgens nach Hause kommen, ist ihnen ein betrunkener junger Mann aus der Kneipe gefolgt, der nun zu stänkern beginnt. Heppo versucht ihn freundlich abzuwimmeln. Als der Kerl aber auf unser Dach klettert, platzt Matthias fast der Kragen, und ich stehe schon mit gezücktem Pfefferspray bereit. Nur gut, dass der Typ insgesamt nicht so bedrohlich wirkt und wahrscheinlich auch viel zu besoffen ist, um ernsthaft eine Schlägerei anzuzetteln. Mit gutem Zureden schaffen wir es, ihn wegzuschicken. In der Nacht schlafe ich aber nicht ganz so gut wie sonst.

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