2014-10 Reisephilosophie

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Tom, der junge Radler aus Belgien, fragte uns in Kirgistan am Lagerfeuer: „What is your motivation for travelling? Are you just escaping from normal life for a while and going back to a regular job afterwards?“ Worauf ich dann fast ein bisschen aggressiv reagierte: „Hey, I like my „normal“ life and even my job. I have friends, family, a nice place to live. So it’s not an „either-or“ deciscion, it is more an „as-well-as“ option for me!!!“

Natürlich wäre es verlockend, immer so weiter zu machen. Und würden wir heute im Lotto gewinnen, so würden wir wahrscheinlich so schnell nicht wieder heimkehren. Zu sehr ruft die große, weite Welt, die nur von der Ferne so gefährlich scheint.

Und da wäre ich schon mittendrin, bei dem was ich eigentlich schreiben möchte:
Die Welt ist oft anders, als man von ihr erzählt bekommt, meistens sogar um ein Vielfaches besser. Als wir im Freundes- und Familienkreis von unserem Vorhaben berichteten, nach Zentralasien zu fahren, waren die Vorbehalte riesig. Aber auch unterwegs verfolgten uns die Vorurteile. Immer vom übernächsten Land wird schlecht gesprochen und gedacht:
„In Rumänien wird man von Zigeunern angebettelt.“
Albanien! Oh, da bekommt ihr Probleme mit der Mafia!“
„Die Russen saufen viel und sind Schläger.“
„In Kasachstan wird man von Steppenreitern mit Dschingis-Khan-Mentalität überfallen.“
„In Tadschikistan herrscht Krieg, und dort ist es sehr gefährlich.“

Wer denkt bei Rumänien an saubere und aufgeräumte Dörfer –  bei Albanien an leckere Pizzas und schöne Frauen –  bei Russland an intellektuelle Abstinenzler –  bei Kasachstan an fähige Mechaniker und spontane Hilfeleistung gegenüber Fremden – bei Tadschikistan an ein Land, in dem die Menschen von atemberaubender Gastfreundlichkeit sind?

„Glaube nie einer Information, die Du nicht selbst überprüft hast.“ Das ist eine unserer Maximen auf dieser Reise geworden und wird direkt als Lebensweisheit übernommen.
Bilde Dir Deine eigene Meinung! Glaube nichts, was Du von einem zweiten, dritten oder gar aus den Medien gehört hast. Auch wenn der Islam eine schlechte Presse hat, ist es doch eine der gastfreundlichsten Religionen dieser Welt. Der Gast ist heilig, von Allah gesandt, er könnte der Prophet sein. In der christlichen Kultur wird man diese spontane und liebevolle Aufnahme zumeist vermissen. Hoffentlich können wir uns das merken und fremde Menschen mit der gleichen Liebenswürdigkeit aufnehmen.

Auch auf die Gefahr, dass der Text nun gleich zu einer Sonntagspredigt mutiert, gibt es nun noch einen erhobenen Zeigefinger. Es täte dem einen oder anderen in Deutschland und Europa mal ganz gut, eine ähnliche Reise anzutreten und zu sehen, auf welch hohem Niveau bei uns gejammert wird. Da geht es einem schlecht, weil man keinen neuen Audi fährt, noch immer zur Miete wohnt oder weil der Nachbar gerade sein Bad zum Wellnesstempel umbaut, man selber sich so was aber nicht leisten kann. Hallo, Leute! 90 Prozent der Menschheit verrichtet ihr Geschäft auf dem Abtritt im Hinterhof! Strom und fließend Wasser (oder überhaupt Wasser → siehe Kazan, Russland) sind schon ab Polen keine Selbstverständlichkeit mehr. Der Abfall wird nicht von einer Müllabfuhr geholt und fachgerecht entsorgt, sondern wird bestenfalls im Garten verbrannt. Auch ein Wochenende und damit geregelte Arbeitszeiten sind in fast allen von uns besuchten Ländern nicht selbstverständlich. Schockierend, nicht wahr?

Und dann noch ein Gedanke, der mich schon die ganze Zeit beschäftigt. Schade, dass ich kein Psychoanalytiker oder Soziologe bin, denn allen Klischees zum Trotz gibt es dann immer doch ein paar Charakteristika, die man einem Land oder einem Volk zuschreiben kann.

In unseren Reiseerinnerungen gibt es ein paar Kuriositäten:

  • Was veranlasst zum Beispiel die Albaner zum „kollektiven Waschzwang“
    (Lavaz, Lavaz / Autowaschanlagen allerorten)?
  • Warum haben die Litauer einen Hang zum Esoterisch-Religiösen?
  • Warum ist das Pferd in Kirgistan so ein mächtiges Symbol?
  • Wieso scheinen die Kasachen einen Hang zum übermäßigen Alkoholkonsum zu haben?

Das wüsste ich gerne und mutmaße, dass solche Häufungen historisch oder geografisch bedingt sind:

  • Die Albaner waschen die Jahre der Isolierung und Unterdrückung von sich ab.
  • Das Esoterisch-Religiöse der Litauer ist bewusste Abgrenzung zu den gottlosen Sowjetzeiten. Die neblig-sumpfige und waldige Landschaft beherbergt außerdem wirklich Geisterwesen.
  • Das Pferd erinnert an die Zeit, als die Kirgisen ein großes Reitervolk waren, wie die Mongolen, und es symbolisiert außerdem Freiheit und Unabhängigkeit (z.B. von Russland).
  • Die Kasachen ertränken ihren Kummer über ihre Geschichte (und Gegenwart) als Volk der Ausgebeuteten und Entrechteten in Alkohol. Die Steppe ist unendlich weit und das Land klimatisch extrem…

Und damit begebe ich mich auf gefährliches Terrain, liegt die Verallgemeinerung, der ich oben doch so heftig widersprochen habe, dann doch wieder nahe…

Hach, die Welt ist kompliziert und genau deswegen so interessant.
Weitere Studienreisen sind erforderlich.

PS: Bei diesem Artikel handelt es sich um meine Meinung und soll daher bitte nicht kritiklos aufgenommen werden:)

3 Gedanken zu „2014-10 Reisephilosophie

  1. Anita Gondro

    Hallo ihr drei !
    Endlich habe ich mal eine Freistunde, in der ich nicht jemanden vertreten muss. Anstatt wie sonst in der Pause mal kurz in eurem Blog vorbeizuschauen, kann ich euch sogar ein paar Zeilen schreiben.
    Die Bilder und Kommentare sind toll. Doch es tut auch gut, euch gesund und munter auf den Fotos zu sehen. Sidi scheint der geborene Globetrotter zu sein, er braucht nur euch und ein ganz kleines eigenes Revier. Das trifft nicht bei jedem Hund zu.
    Da mir Christoph immer noch keinen neuen (gebrauchten) Computer besorgt hat, kann ich zu Hause nicht ins Internet bzw. Mails senden und empfangen. Darum nutze ich fast täglich die Möglichkeit, hier an der Schule mal schnell “bei euch” vorbeizuschauen.
    Liebe Grüße an euch alle und eine extra Streicheleinheit für Sidi !

    Anita

    Antworten
    1. admin_brit Beitragsautor

      Liebe Anita, es freut mich besonders von Dir zu hören, wie schön.
      Ja, uns geht es prima. Sidi ist zwar kein großer Fan von Stadtbesuchen, aber wenn er ein bisschen in der Sonne liegen kann, ist er trotzdem ganz zufrieden.
      Er ist echt enstpannt.
      Ganz liebe Grüße, von den BuHuS

      Antworten

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