2014-05 LT-01 Merkine Pyramide 1

_MG_8935Montag, 13.05.2014
Wir kaufen den Supermarkt Biedronka in Sejiny in Polen fast leer und verbringen mit der Aktion gut drei Stunden. Hamsterkauf für Russland.

Gleich hinter der litauischen Grenze gibt es ein Infozentrum, an dem man sich mit kostenlosem Kartenmaterial und touristischen Broschüren eindecken kann. Das sollte es überall geben.

Bis nach Sonnenuntergang suchen wir einen Stellplatz und finden das gleiche Phänomen vor wie in Polen. Alle freien Plätze sind in Privatbesitz und werden vermietet. Wir stellen uns trotzdem vor einen „Privati Valda“ unweit der Grenze zu Belarus und rufen diesmal nicht an. Wir haben noch keine Landeswährung.

Und noch etwas: In Rumänien gibt es keine Vampire mehr, denn die wohnen mittlerweile alle in Litauen, in einer Wohngemeinschaft mit Moorleichen, Werwölfen und Zombies. Am Abend verwandelt sich die liebliche Landschaft in einen nebligen Düsterwald, der einem das Gruseln lehrt.

Pyramide

Dienstag, 13.05.2014
Aus nostalgischen Gründen statten wir dem Dorf Merkine einen Kurzbesuch ab (hier fließt die Merkys in die Memel). Vom Berg aus hat man einen schönen Blick über die Flussschleife. Verschlafen kauern ein paar bunte Holzhäuschen im Schatten der Kirche, die das Ortsbild dominiert. Es ist gähnend langweilig hier.

Ein paar Kilometer südwestlich von Merkine erregt ein Schild „Merkine Pyramide“ unsere Aufmerksamkeit, und so biegen wir spontan in den Wald ab. Was wir dann erblicken, hätten wir nicht erwartet: Drei große Holzkreuze stehen am Eingang des Geländes, und dahinter erhebt sich eine geodätische Kuppel neben rustikalen Holzhäuschen. Es sieht hier aus wie aus einem Setting für einen Sience Fiction Film.

Im Dom sind kreisförmig Holzstühle aufgestellt, angeordnet um eine Pyramide auf einem bunten Fliesenmosaik, darauf ein geschnitzter Holztisch, auf dem verschiedene Kelche stehen. Fast erwarte ich, dass gleich eine Elfendelegation hereingeschwebt kommt.

Hier erleben wir eigenartige Phänomene, unsere Stimmen scheinen von überall her zu kommen, leises Singen wird sehr laut, in den Fensterscheiben bricht sich das Licht und spiegelt das Innere hundertfach wider. Aus einem Tank kann man sich energetisiertes Wasser abfüllen. Heppo nimmt das Ganze wohl nicht so furchtbar ernst, denn er legt drei Snickers in die Ecken der Pyramide, damit diese mit kosmischer Energie aufgeladen werden. Powersnickers sozusagen, für den Notfall.

Als ob jemand da oben die Idee mit den Schokoriegeln auch zu blasphemisch gefunden hätte, beginnt es sogleich heftig zu donnern und zu blitzen, alsbald auch zu regnen.

Auf einer Infotafel entdecke ich die Geschichte des Tempels: 1990 vernahm der siebenjährige Povilas Zekas während eines Gottesdienstes in der Kirche von Merkine die Stimme seines Schutzengels, die ihm sagte, dass er von nun an mit Gott kommunizieren könne. Seine Verwandten glaubten ihm natürlich nicht und wollten einen Beweis. Dieser erfolgte schon am nächsten Tag im Beisein der Familie in Form eines Lichtstrahl; und darin sah man eine Gestalt von großer Schönheit. Seither kann man an diesem Platz die göttliche Energie spüren. 12 Jahre später erhielt er, mittlerweile erwachsen, die Aufgabe; an diesem Ort eine Pyramide zu erbauen. Viele Menschen kamen und erlebten spontane Heilungen. Ein Wallfahrtsort entstand. Und erst 2009 baute Povilas – wiederum auf Befehl Gottes – die Kuppel rundherum. Seitdem wird regelmäßig von Wundern und Lichterscheinungen berichtet. Der Ort steht Menschen aller Religionen zum Gebet und zur Meditation offen.

Wir sind uns einig: Humbug ist das, aber ein schöner, der nicht weh tut.
Und eine gute Geschäftsidee ist so eine professionelle Erleuchtung wahrscheinlich auch. Zwar ist der Eintritt in die Anlage umsonst, aber nach einer spontanen Heilung klingelt es sicherlich kräftig in der Spendenkasse. Die Anlage dürfte außerdem einen Nerv unserer Zeit treffen, esoterisch genug, um auch Nichtchristen anzusprechen. Vorsichtshalber werden wir unsere energetisierten Snickers gut verwahren und nur essen, wenn wir einen echten Energieschub benötigen. Man weiß ja nie!

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