2014-06-01 RUS_05 Kazan, Werkstatt


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Scherer und die Lupinen

Montag, 02.06.2014
Wir fahren weiter durch den Sumpf Richtung Kazan. Langsam aber sicher fühlen wir uns deprimiert von der Landschaft, die eindeutig menschenfeindlich ist. Kein Wunder, dass sich schon mehrfach größenwahnsinnige Feldherren (die Namen sind bekannt) an Russland die Zähne ausgebissen haben – wenn ich das mal so lapidar formulieren darf. Solch’ seltsame Gedanken gehen mir durch den überhitzten Kopf.

Vor Nischny Novgorod sieht man außerdem über weite Teile abgestorbenen Wald. Wir fragen uns, ob das nicht vielleicht daran liegen kann, dass N. Novgorod eine wichtige Industrie- und Rüstungsstadt ist und die eine oder andere Altlast einfach im Sumpf versenkt wurde. Aber das ist natürlich reine Spekulation. Die Nacht verbringen wir unter einer Brücke am Fluss Oka in der Nähe der Stadt.

Umweltverschmutzung

Umweltplakat

Nachtrag vom 06.06.2014: Meiner fleißigen Recherche-Mama (Danke!) hat die Erwähnung des abgestorbenen Waldes vor N. Novgorod offenbar keine Ruhe gelassen, und sie hat mir zu dem Thema ein Interview mit dem Organisator der “Grünen Patrouille” in Russland geschickt. Dort geht es um die schmutzigsten Städte Russlands. Die Stadt Dschersinsk westlich von N. N. lag genau auf unserer Route an der M7. Laut dem Interview gilt Dschersinsk als die schmutzigste Stadt Russlands, in der die zulässigen Phenolwerte um das 17 Millionenfache (!) überschritten werden. Die Lebenserwartung von Männer liegt dort angeblich bei 42 Jahren, die von Frauen bei 47 Jahren. Das Interview findet man hier:
www.aktuell.ru/russland/wirtschaft/wie_gaskammern_dreckschleudern_in_russlands_provinz_2223.html

Dienstag, 03.06.2014
Schon seit ein paar Tagen (oder Wochen) ist das Wetter nun sonnig sommerlich. Und je weiter wir nach Osten fahren, desto heißer wird es. Ich nehme an, das ist das berühmt-berüchtigte Kontinentalklima mit seinen sehr heißen Sommern und kalten Wintern. Wir schwitzen nicht nur während der Fahretappen ordentlich, und unser Fellträger wird mit nassen Tüchern gekühlt.
Auch nachts fallen die Temperaturen kaum.

Mittwoch, 04.06.2014
Es ist unerträglich heiß und staubig. In Kazan wird das Leitungswasser rationiert. Tagsüber gibt es keines. Abends, wenn das Wasser stundenweise wieder verfügbar ist, horten die Bewohner das Wasser in fünf Liter Kanistern in der Badewanne. Auch wir haben Probleme, unsere Wasservorräte aufzufüllen.

Hundstage

Donnerstag, 05.06.2014 – Samstag, 07.06.2014
Die letzten Tage hatten wir ziemlichen Stress und große nervliche Belastung. So schlimm war es, dass ich sogar mein energetisiertes Snickers essen musste. Unsere Kupplung machte schlapp. Nachdem wir sie unterwegs bereits nachstellen mussten, stellte sich beim zweiten Mal heraus, dass die Belagdicke nicht mehr ausreichend war. Die Ersatzteile (neue Kupplungsscheibe, Druckplatte, Ausrücklager) gibt es nur in Deutschland, und sie schicken zu lassen, hätte drei Wochen oder länger gedauert. Dann würden wir aber Probleme mit unserem Visum bekommen, das am 23.06.2014 endet. Ein Touristenvisum ist nicht verlängerbar.

In Kazan fanden wir sogar den hochoffiziellen Mercedes Benz Großhandel mit Werkstatt. Dort war man aber ziemlich unmotiviert, uns zu helfen, obwohl ich den Spezialisten eine Stunde mit einer Charmeoffensive bearbeitet habe. Ein paar Kilometer weiter fanden wir dann die Lastwagenwerkstatt DelTruck. Die Mechaniker kamen sofort heraus, um unser Museumsstück zu bewundern und machten sich sofort an die Arbeit. Nun haben wir ein Provisorium nach “Ruski Method”.

Um nicht zu sehr mit den Details zu langweilen, kopiere ich hier einfach Heppos leicht modifizierten Beitrag aus dem Forum der Allrad-LKW-Gemeinschaft) ein:
„…zuerst möchte ich mich nochmal bei allen (auch im Namen der ganzen Besatzung) bedanken, die uns hier mit ihren Beiträgen geholfen haben. Wir sind vor drei Stunden aus der Werkstatt gefahren, und die Kupplung funktioniert! Da, wie schon oben geschrieben, die benötigten Teile in Russland nicht aufzutreiben sind und der Versand inklusive Zollabfertigung zu lange gedauert hätte, wurde so gehandelt:

– Alte Scheibe raus, Belag runter
– Neue Scheibe mit gleichem Durchmesser und Belagsbreite von russischem LKW wurde besorgt
– Der Belag der russischen Scheibe wurde auf unsere Scheibe genietet
– Überholte Scheibe wieder bei uns eingebaut.
– Die Druckhebel mussten verstellt werden, da die neu belegte Scheibe dicker ist als ursprünglich.

Das Werkstatteam von Deltruck hat super Arbeit geleistet. Alle haben uns mit bestem Wissen und großer Motivation geholfen.

Wie sich das Ganze auf Langstrecke verhält, kann ich erst in paar Tagen sagen; die Probefahrt war zufriedenstellend. Für alle Fälle schickt uns der ADAC noch das Original-Ersatzteil-Komplettpaket nach Astana/ Kasachtan. Die Zollabfertigung soll dort um einiges leichter vonstatten gehen als in Russland. Im Optimalfall überholen wir damit die Kupplung nach unserer Reise in Ruhe und Muße zu Hause…“

Nun, es waren es zwei sehr aufregende Tage und Nächte, in denen wir in der Werkstatt bei 40 Grad Hitze, Abgasen und Staub schlafen mussten. Aber es gibt auch viel Gutes zu berichten: Mit den Mechanikern Dima und Ilias haben wir gegrillt und uns über Politik, Musik und Autos unterhalten. An dieser Stelle noch mal ein ausdrückliches Dankeschön an alle von Deltruck: Kamil, Dima groß, Dima klein, Anton, Ilias und alle anderen, die so gut und unermüdlich gearbeitet haben. Die Jugend hat uns mit aufgemotzten Autos besucht, der Nachbar Viktor hielt einen kurzen Plausch mit uns. Der Hausmeister vom Supermarkt wollte uns sein Auto zur Verfügung stellen, damit wir Musik aus dem Autoradio hören können, und die Kassendamen schäkerten mit Andreas und Matthias. Die Nachbarin Galina haben wir kennengelernt, als wir uns hinter dem Supermarkt auf ihr Grundstück stellten. Wie eine Furie schoss sie aus ihrem Haus heraus und stauchte uns auf Russisch zusammen. Verängstigt stotterte ich, dass es mir leid tue und dass wir einfach gedacht hätten, der staubige Platz gehöre noch zum Supermarkt und dass wir morgen einen Termin in der Werkstatt gegenüber hätten. Sogleich schleifte mich Galina zurück in die Werkstatt und ließ sich dort bestätigen, dass meine Aussage der Wahrheit entspräche. Als dem so war, erlaubte sie uns, auf ihrem Grundstück zu bleiben. Seither werden wir von Galina mit Wasser und Einladungen zum Tee versorgt. Und ich denke, wir werden demnächst als ihre Enkel adoptiert.


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