Das schlafende Kamel

Bamako: Verliebt in eine Stadt. Geht das denn?

Bamako fühlt sich ein bisschen an wie unglücklich verliebt sein. Ich weiß, das klingt etwas seltsam. „Wie, bitte, kann man denn in eine Stadt unglücklich verliebt sein?“, fragt Freundin Kathi per Mail. Doch, das geht. „Amour fou“ ist auch vielleicht der passendere Ausdruck- eine verrückte Liebe, eine unvernünftige. Die beiden Liebenden passen nicht zueinander. Sie wissen beide, dass sie keine gemeinsame Zukunft miteinander haben, aber trotzdem können sie nicht die Finger voneinander lassen.

„Oh, Bamako! Du seltsame Stadt, in der alles hinter allem verschwindet. Du Möchtegern-Metropole mit deinem tropischen Klima, deinen staubigen Straßen, deinem Smog, deinem Stacheldraht, deinen Mücken, Mofas und deinen wunderbaren, musikalischen Menschen!“ Besonders letztere haben es uns angetan: Nabintou, Keltoum, Alassane, Adama, Reggaeblu, Carole vom Lac du Lassa, der alte Houssman , der junge Houssman, der Kopiershopbetreiber, die Camel-Türsteher mit ihren Scherzen, die Teetrinker aus dem Africa Club und sogar die traurig-fiesen Tischdeckenverkäufer. Verdammt, ihr alle seid gerade dabei, uns das Herz zu brechen! Mit eurem Ernst, eurer Ehrlichkeit, eurer Musik, eurer Melancholie, eurem Humor, eurer Angst und Sorge, eurem Hoffen und Bangen habt ihr uns schon fast um den Verstand gebracht.

Wir sind in einer sehr seltsamen Stimmung. Außerdem bereitet uns Sidi noch immer große Sorgen. Auch wenn das Fieber verschwunden ist, so ist er doch überaus schwach. Mit einer Spritze flößen wir ihm täglich ein Mindestmaß an Flüssigkeit ein.

Harte Jungs mit Heimwehaugen hängen im Sleeping Camel in Bamako ab. Sie haben den Krieg im Kopf.

Und dann ist da noch das „Sleeping Camel“, Hotel, Bar und Restaurant, vor dem wir parken und wo wir gegen Gebühr Klo, Dusche und Internet in Anspruch nehmen dürfen. Die Lodge mit dem Gastronomiebereich ist so gut abgesichert wie ein Knast, nur mit dem Unterschied, dass hier das Innere vor der Außenwelt geschützt wird und nicht umgekehrt. Stacheldrahtrollen liegen auf den meterhohen Mauern und eine Türschleuse mit Kamera, Türsummer und mehreren Wachleuten soll für Sicherheit sorgen.
Tagsüber und auch abends sind vor allem Restaurant und Bar stark frequentiert. Viele der Gäste sind Soldaten, Polizisten, UN-Beobachter und Politiker. Operation Minusma hat gleich um die Ecke ihr Hauptquartier. Auch Abenteurer und Kriegsgewinnler mischen sich unter die Besucher, z.B. “lithium miners“ und “gold diggers“. Beim Mittagessen unter Geschäftspartnern werden die Notebooks aufgeklappt, Excel-Listen mit fantastischen Zahlen herumgezeigt und eine ungesunde Anzahl von Bieren getrunken. „You can make a fortune here!“ Die Hautfarbe fast aller ist – weiß.

Jeden Tag blicken wir in die gleichen Gesichter von harten Jungs mit Heimwehaugen. „Darf ich deinen Hund streicheln?“, fragen uns die Rambos in den verschiedensten Sprachen und werden sentimental. „Hey, good boy!“, sprechen sie mit unserem Haustier und an uns gewandt: „Left two Australian Ridgebacks back home!“ Nun glitzert es in den Heimwehaugen. Schneller Abschied, kurz angebunden. Was bleibt da noch zu sagen? „See you!“ – „Yes, see you!“

Thorsten* (Name geändert) geht eigentlich nicht sonderlich gerne ins Camel. „Too white, too Anglosaxon!“, sagt er. Er kommt heute nur wegen uns hierher. Der gut gekleidete Herr Mitte fünfzig mit marineblauem Maßanzug, weißem Leinenhemd und Goldkettchen würde schlecht in unseren eher linksalternativen Freundeskreis passen. Auch parteipolitisch ist er, der für eine deutsche Stiftung arbeitet, eigentlich nicht auf unserer Wellenlänge. Trotzdem ist er uns mit seiner zynisch-lakonischen Art sehr sympathisch. Auch geben seine kaputten Schneidezähne seinem gepflegten Schwiegermutters-Liebling-Outfit einen verwegenen Touch. Thorsten, so sind wir uns sicher, darf man auf keinen Fall unterschätzen.

Auch umgekehrt haben wir sein Interesse an uns einzig unserem Kennzeichen zu verdanken: R wie Regensburg, Thorstens Heimatstadt.
„Ich halte nicht viel von dem ganzen humanitären Quatsch!“, fällt er mir ins Wort, als ich ihm von Paul erzähle, einem anderen Regensburger, der in Bamako Bewässerungspumpen im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojektes baut. „Ist ja alles ganz nett, wenn irgendwelche Organisationen hier Brunnen und sonst was bauen, aber das wäre eigentlich die Aufgabe der Regierungen. Die Menschen sollten doch sagen: Schau, wie toll das unser Bürgermeister gebaut hat! und nicht: Schau, das haben wir einer Stiftung aus Deutschland zu verdanken! In Mali und ganz Afrika hat daher niemand Vertrauen in seine Politiker.“

Thorsten macht gerade mal Pause, um sich eine neue Zigarette anzustecken, dann holt er Luft und schimpft weiter: „Und dann sind da noch gewisse Faktoren, die die Lage in Afrika zusätzlich erschweren.“ Riesige Länder seien das, mit extremen Klimabedingungen und einem enormen Bevölkerungswachstum. „Das Durchschnittsalter in Mali liegt bei 15 Jahren!“, fährt er fort. „In Regensburg fangen sie schon zum Flennen an, wenn es heißt: 2000 Neubürger pro Jahr.” „Wo sollen wir die Wohnungen hernehmen, die Kindergärten und Schulen?“, jammert er mit verstellter weinerlicher Stimme.

Weil er gerade so schön in Fahrt ist, frage ich ihn nach den Ursprüngen des Konflikts in Mali.
„Ganz schematisch erklärt ist das so…“ legt er los und greift schon wieder nach seinen Kippen. Dann erzählt er von einem riesigen Land, mit einem dicht besiedelten Süden und Südosten und einem sehr dünn besiedelten Norden. Dort gebe es keine Infrastruktur, dies sei so etwas wie der vergessene Teil des Landes. Auch seien die meisten Verwaltungsleute Bambara und nicht die dort ansässigen Tuareg. „Da sitzen da also Leute in den Ämtern, die von nichts eine Ahnung und keinen Rückhalt in der Bevölkerung haben.“ Aufstände habe es im Norden unter den Tuareg schon immer gegeben, aber richtig schlimm sei es eben erst 2012 geworden, als diese Unruhen von den Dschihadisten gekapert wurden.

„Und dann das Unwort ‚Terrorismus‘!“, sagt er verächtlich. „Der Staat ist im Norden Malis nicht mehr existent. Das ist richtig, aber dort geht es vor allem um Drogen-, Waffen-, Zigaretten- und Benzinschmuggel. Rein statistisch gesehen kommt hier keiner wegen Terrorismus zu Tode. Die Leute sterben in Westafrika an krassen Krankheiten und Verkehrsunfällen.“

Gestresst blickt Thorsten auf seine Golduhr. „Leute, ich muss leider los! Habe noch zu packen. Morgen fliege ich in den Tschad. War nett euch getroffen zu haben.“ Er legt einen Schein auf den Tisch, der locker für seine zwei Pernods und unsere Getränke reicht. Dann ist er auch schon verschwunden.

Leicht benommen bleiben wir zurück. Dass eine Reise durch Westafrika kein Zuckerschlecken wird, war uns von Anfang an klar. Aber es ist dann doch etwas anderes, mit der Realität konfrontiert zu werden, als sich das Leben vor Ort von der Ferne aus vorzustellen…