Mali, der zweite Eindruck

Musiktipp: Cheickne Sissoko with 5 drums (5 tamans) Wir haben ihn live in Bamako gesehen!

Frisörgeschäft in Mali

Nachdem der erste Eindruck Mali entspannt, nett und gemütlich hat wirken lassen, ist der zweite Eindruck ein völlig anderer.

Doch von Anfang an: Eigentlich finden wir das kleine Städtchen Nioro du Sahel unweit der Grenze recht sympathisch. Hier gibt es einen lebhaften Markt, auf dem bunte Stoffe, Glasperlen, Schönheitsprodukte und Stoffe angeboten werden, freundliche Menschen und hübsche, kleine Lädchen, bei denen witzig gemalte Bildchen über den Berufsstand des Besitzers aufklären. Schafe, direkt auf die Hauswand gezeichnet und ein Grill davor, sprechen davon, dass sich hier eine Fleischerei befindet. Köpfe mit Haartollen und angedeutete Rasierapparate weisen auf den Frisör hin. Hinter dem Porträt eines Mannes mit Palästinensertuch und Sonnenbrille vermute ich einen Hinweis auf einen Herrenausstatter.

Solange wir noch zu Fuß unterwegs sind, ist alles kein Problem. Wir haben jedoch  vor, mit Frau Scherer das  Hotel Guetama  anzusteuern, denn vom Wildcampen wollen wir in Mali angesichts der angespannten Sicherheitslage lieber Abstand nehmen. Dabei verfahren wir uns mehrmals im Straßengewirr und landen jedes Mal wieder mitten im Marktgetümmel. Auch unser Navi kann uns nicht helfen. Es sieht so aus, als ob wir wirklich durch diese eine enge Straße mit all den Buden, Karren und einer immer dichter werdenden Menschenmenge hindurch müssten. Wir haben kaum genug Platz, halten den Verkehr und Betrieb auf und ziehen so den verständlichen Unmut der Passanten auf uns. Es wird schon dunkel, und wir geraten ein wenig in Panik:  Nachts zu fahren ist in Afrika selten eine gute Idee.

Zu allem Übel hält uns nun auch noch ein Polizist auf. Helfen will uns der großgewachsene und breitschultrige Mann aber nicht. Seine Art ist herrisch, und sein Auftreten alles andere als höflich. Was er uns vorwirft? „Behinderung des Verkehrs und orientierungsloses Verhalten.“ „Entschuldigung, wir kennen uns hier nicht aus. Wir sind gerade erst eingereist!“, werbe ich mit Logik und Vernunft um sein Verständnis. „Bitte geben Sie uns unseren Fahrzeugschein wieder!“ Doch der Typ macht gar keine Anstalten. Stattdessen steckt er das Dokument in seine Hemdtasche, dreht sich von uns weg und macht nun ein paar Schaulustige zur Minna. Grob brüllt er die Umstehenden an. Mich und Heppo lässt er links liegen und scheint uns offenbar gar nicht mehr zu beachten. Dabei ist er sich bestens bewusst, dass wir auf glühenden Kohlen sitzen und er am längeren Hebel. Spätestens hier wird mir klar, dass es gar nicht um ein tatsächlich begangenes Vergehen geht. Der Typ ist ein Sadist. Er weidet sich an unserer Situation und Verzweiflung, genießt die Demütigung, die er uns zufügt und auch, dass ich mich nun auf Schmeicheln, Bitten und Betteln verlege.

Sadistische Umtriebe oder Fleischerei?

Heppo versucht es zuerst mit Wut, doch uns beiden wird schnell klar, dass wir damit alles nur schlimmer machen. Besser, wir geben diesem Unberechenbaren keinen Grund, wirklich einen Groll gegen uns zu hegen. Unser LKW versperrt währenddessen immer noch die belebte Marktstraße. Die Menschen um uns werden mehr und mehr  unruhig angesichts des entstandenen Staus. Ein paar Mutige wenden sich an den Sadisten, der aber keine Anstalten macht, zu einer Lösung der Lage beizutragen. Wahrscheinlich hofft er darauf, dass wir ihm nun Euroscheine oder Dollars zustecken, um unser Dokument auszulösen. Da kennt er uns allerdings schlecht. Das sitzen wir aus.

Dunkel ist es mittlerweile sowieso schon. Und die Menge zeigt Verärgerung. Nun richtet sich deren Zorn aber nicht mehr gegen uns, sondern gegen den Polizisten, der uns nicht weiterfahren lässt. Aber das Glück kommt uns zur Hilfe, nämlich in Form des Polizeichefs, der wohl eher zufälligerweise des Weges kommt. Der kleine, rundliche Mann mit freundlichem Gesicht ist nämlich in Zivil. Daran, wie der Sadist plötzlich Haltung annimmt und freundlich grüßt, merke ich, dass hier unsere Chance liegt. „Monsieur!“, ergreife ich das Wort, um gleich darauf – wie im Kindergarten – zu petzen: „Unsere Dokumente werden uns vorenthalten. Wir werden an der Weiterfahrt ins Hotel gehindert!“

Der Chef ist wirklich so nett wie er aussieht. Denn sogleich legt er ein gutes Wort für uns ein und beschreibt ganz richtig unsere Lage: „Touristen sind das. Gerade erst eingereist. Die Straßenführung ist eben verwirrend. Nur natürlich, dass man da den Überblick verliert. Helfen wir ihnen, dass sie den Weg ins Hotel finden. Es ist ja schon dunkel!“

Ich ergreife meine Chance, bevor es sich der Sadist anders überlegen kann, und zupfe noch während der Ansprache seines Vorgesetzten den Fahrzeugschein vorsichtig aus seiner Brusttasche. Er protestiert nur schwach und versucht sich stattdessen an einem freundlichen Lächeln, das nun ziemlich schief im Gesicht hängt. Diese Muskelgruppen scheint er sehr selten zu beanspruchen. „So eine falsche Socke!“, denke ich mir. Widerlich, solche Typen, die sich an ihrer winzigen, mickrigen Macht aufgeilen. Gefährlich auch, sollte es wirklich einmal um etwas anderes gehen als nur um ein kleines Bestechungsgeld. Was passiert dann in einem Land, im Krieg, wenn die Sitten komplett verrohen? An dieser Stelle mag ich gar nicht mehr weiterdenken…

Frauenteile

Dass im komplett ausgestorbenen Hotel Guetama im Hof neben unserem LKW ein Fernseher steht, auf dem die vorwiegend männliche Wirtsfamilie die halbe Nacht widerliche Splatterfilme guckt, bei denen Frauen von Tentakelmännern in den Bauch penetriert werden, macht es nicht besser. An dem Punkt, wo zerstückelte Frauenteile gefesselten Frauen zum Fraß vorgeworfen werden, gehe ich zurück in den LKW.  (Heppo hatte bereits weit früher bei den ebenso fürchterlichen mexikanischen Telenovelas genug). Trotz der quälenden Hitze schließe ich Türen und Fenster sorgfältig ab. Was ist nur los mit dieser Welt? Mali hat sich gerade von seiner schrecklichen Seite gezeigt. Das nervöse Gefühl in meinem Bauch kehrt zurück. Ist es wirklich eine gute Idee, durch dieses Land zu reisen?