Flucht aus Afrika (2)

Vorher lesen, Teil 1: Flucht aus Afrika (1)

Samstag, 21.03.2020, Elfenbeinküste Grand Bassam

Schlafen kann ich nicht: Ein unruhiges Flatterherz hält mich wach.
Vor dem Frühstück machen wir Telegymnastik und den Sonnengruß mit Rita und Fernando. Danach geht es mir besser.

Krisensitzung: Ab Sonntag gibt es auch in der Elfenbeinküste ein offizielle Ausgangssperre und einen Shut Down aller Bars und Restaurants. Wir in der Elephant‘s Lodge beschließen, uns ebenfalls in einen freiwilligen Lock Down zu begeben. Gemüse, Brot und Obst wollen wir uns liefern lassen. „You can leave but not come back!“, erklärt Chloe. Heute darf jeder noch mal raus zum Einkaufen. Heppo fährt mit dem Fahrrad zum Markt und kommt mit einem großen Sack Reis und richtig viel Gemüse zurück. Er berichtet von leeren Regalen und Schlangen vor den Supermärkten. Viele tragen bereits Masken, und überall wird man gezwungen, sich die Hände zu desinfizieren. Sein Handyguthaben konnte er aber nicht mehr aufladen: Als er nämlich am Moov Stand ankam, hatte er plötzlich nur noch ein Rauschen im Ohr: Gehörsturz! Sicherlich der Stress! 
Ich mache mir Sorgen um ihn…

Chloes Hündin Pica ist läufig. Nun zofft sich Sidi mit dem Rüden Bobby. Wir vereinbaren, dass beide nur abwechselnd raus können. Sidi hat trotzdem gerade eine sehr gute Zeit!

Anruf der Botschaft: Morgen geht noch mal ein Sonderflug nach Paris. Mit Martin vereinbaren wir, dass er und ich am nächsten Tag sehr früh zum Air France Büro nach Plateau (Stadtteil von Abidjan) fahren werden und versuchen,Tickets zu ergattern. Heppo soll unterdessen einen Stellplatz für Frau Scherer klar machen und alles zusammenpacken.

Letzte Eindrücke von der Côte d’Ivoire

Sonntag, 22.03.2020, Elfenbeinküste, Abidjan & Grand Bassam

Das Taxi kommt um 8.00 Uhr. Eine halbe Stunde später stehen wir vor dem Air France Büro. Hier warten bereits einige Leute. Auf der Einschreibeliste sind wir die Nummern 25, 26 und 27. Angeblich öffnet das Büro um 11 Uhr, um 12 Uhr ist es aber immer noch geschlossen. Mittlerweile ist die Menschenmenge auf etwa 200 Personen angewachsen. Alle halten Abstand zueinander. Plötzlich werden wir gezwungen, uns in einer Schlange anzustellen, dicht auf dicht. Martin und ich setzen Masken aus unserem Erste-Hilfe-Fundus auf. Sicher ist sicher! Der Koordinator des nervösen Haufens ist  heillos überfordert. Nun versucht er, einen Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter zwischen die Menschen zu bringen. Das ist natürlich nicht so einfach. Alle müssen minutenlang rückwärts gehen. Als nach 12 Uhr endlich das Büro öffnet, stürmen alle Richtung Eingang. Da liegen bei einigen die Nerven schon ziemlich blank. Zum Glück wird dann jeder doch anhand der Nummern auf der Liste aufgerufen. Die Mitarbeiterin von Air France ist mürrisch und unhöflich und hat zugleich die Ruhe weg. Martins Flug ist dennoch rasch gebucht, ich lege ihm den fehlenden Betrag in CFA aus. Auch für uns gibt es zwei Tickets. Es dauert nur etwas, bis das Okay für die Hundemitnahme erfolgt. Juhu! Sidi darf mit.
Ich rufe Heppo an: „Pack alles zusammen! Unser Flug geht heute um 22.30 Uhr.“ Es ist nach 13 Uhr, als wir das Büro verlassen und wieder in ein Taxi steigen, das uns nochmal zurück nach Grand Bassam bringen wird.

Heppo hat für Frau Scherer unterdessen schon einen Stellplatz gefunden. Ich werfe nur Technik und Wertsachen in meinen Rucksack: Computer, Kameras und Dokumente. An Klamotten kommt nur mit, was ich am Leib trage. Mist, uns fehlt noch ein Dokument für den Hund! Air France möchte ein unterschriebenes Formblatt vorgelegt bekommen,  auf dem steht, dass die Maße des Hundekäfigs den Vorgaben entsprechen und dass unser Hund weder krank noch betäubt ist.

Ich laufe los. Da Sonntag ist, haben alle Kopiershops zu. Plötzlich steht ein junges Mädchen neben mir. Sie ist 17 und heißt Ange, Engel. Ihr Französisch ist so schwer verständlich, so dass ich leider keine rechte Unterhaltung mit ihr führen kann. „Ich weiß, wo noch ein CP (Kopiershop) ist.“, verstehe ich. „Wir müssen aber ein Stück laufen!“
Im Eilschritt rennen wir nun durch das Viertel, überqueren die belebte Kreuzung mit den rostroten Taxis. Ein Prediger beschwört brüllend den Weltuntergang herbei, die Jungs vor einem Kiosk rufen mir flirtend hinterher: „Komm wieder, wir warten auf dich!“ Frauen blicken mitleidig auf mein schweißüberströmtes Gesicht. Zu Ange sagen sie: „Deine Begleiterin ist sehr müde.“

Ich nicke und hetze weiter. Blick auf die Uhr: Maximal fünf Minuten kann ich noch nach einem Kopiershop suchen, dann muss ich umdrehen. Um 17 Uhr fährt unser Taxi zum Flughafen, in einer halben Stunde. Über 30 Minuten bin ich bereits unterwegs, genauso lange werde ich zurück brauchen. „Hier ist der Laden!“, sagt Ange und lässt mich stehen. Mein persönlicher Engel fliegt um die Ecke und ist verschwunden. Ohne nach Geld zu fragen – und ohne Abschied.

Mit der kostbaren Kopie in Händen eile ich zurück, vorbei an den mitleidigen Frauen, den flirtenden Jungs, dem lauten Prediger und den wartenden Taxis. „Coronavirus!“, schreit mir einer aus einem vorbeifahrenden Auto zu. Egal. Keine Zeit. Heppo macht sich bestimmt schon Sorgen um mich!

Bye Bye, Frau Scherer!

(Fortsetzung folgt)