Im Schrauberviertel von Kumasi

Trotz unserer verfrühten Rückkehr nach Deutschland möchte ich nach wie vor von Afrika berichten. Hier geht es also nun weiter mit einem Bericht aus Ghana (Dezember 2019):


Ersatzteilhändler in Kumasi, Foto: Heppo

Frau Scherer im Schrauberviertel Magazine in Kumasi

Mit Schrittgeschwindigkeit und eingeschalteter Warnblinkanlage fahren wir weiter in Richtung Kumasi. Die Hauptstadt des wegen seiner Goldvorkommen berühmten Ashantireiches, dass sich einst über das Staatsgebiet von ganz Ghana plus Teile der benachbarten Länder Mali, Togo und Cote d‘Ivoire erstreckte, ist heute vor allem ein wichtiges Handelszentrum. Mit etwa knapp 3 Millionen Einwohnern übertrifft sie sogar die Hauptstadt Accra, wo nur etwa 2,3 Millionen Menschen leben.

Unzählige Kilometer legen diese Frauen zu Fuß zurück

Quirlig es hier, keine Frage. Auf den Straßen: ein andauernder Verkehrsstau. Die langen Ampelpausen werden von den Verkäufern genutzt, um Waren aller Art an die Reisenden zu verkaufen. Nichts, was es nicht gibt: Toilettenpapier, Waschmittel und natürlich Wasser aus Plastiktüten und kleingeschnittenes Obst. Dutzende von Kilometern legen diese Menschen an einem Tag zurück. Bei der Ampelphase Grün laufen alle wieder nach vorne, um sich dann bei Ampelphase Rot wieder an das hintere Ende der Warteschlange vorzuarbeiten. Stundenlange Schwerstarbeit ist das, bei 35 Grad und 90 % Luftfeuchtigkeit und inmitten lungenschädlicher Abgaswolken. Viele dieser armen Geschöpfe arbeiten noch nicht mal auf eigene Kasse, sondern für einen Boss, dem sie am Ende des Tages einen Großteil der Einnahmen schuldig sind. Dazu der permanente Lärm – Ghana mag es extrem. Links und rechts der Straße rumst und wumst es aus mannshohen Lautsprechertürmen. Wanderprediger stehen dazwischen und plärren in ein Mikrofon. Hauptsache: ohrenbetäubend. Hauptsache: bunt. Hauptsache: Reizüberflutung.

Arme Frau Scherer

In Kumasis Schrauberviertel „Magazine“ ist – obwohl kaum vorstellbar – alles noch krasser. Wir hatten uns eine halbwegs ordentliche Aneinanderreihung von Werkstätten und Geschäften vorgestellt, so wie wir das zum Beispiel aus dem Iran kennen. Aber das ist Afrika, und „Magazine“ ist nur ein riesiger Schrottplatz. Hier ein gigantischer Haufen von Motoren, hier ein Berg Reifen, dort Felgen, dazwischen Motorhauben und allerlei Undefinierbares, und zwischen den ölverschmierten Teilen steht schon wieder ein Prediger. Schade, dass wir nicht verstehen, was er in diesem apokalyptischen Szenario so von sich gibt. „Das ist wirklich das Anarchistische, was ich je gesehen habe!“, sagt Heppo beeindruckt. Als ich wenig später mit Sidi spazieren gehe, bin ich fast schon schockiert. Das einzige Fleckchen Natur in diesem Autowahnsinn ist ein kleiner Friedhof neben der Straße. Sidi, an Toilettengänge im Grünen gewöhnt, zieht mich begeistert in Richtung der Bäume und Büsche zwischen die Grabsteine. Auch hier wird gearbeitet. Zwischen den Gräbern werden mechanische Teile zerlegt und gesäubert, kompletteFamilien picknicken auf den Grabsteinen. Viele haben es sich auf den mit kühlen Fliesen verkleideten Gedenkstätten lang ausgestreckt und halten ein Nickerchen. Alles ist hier möglich! Dass Sidi erleichtert zwischen den Denkmälern sein Geschäft erledigt, muss mich nicht stören: Er ist damit wirklich nicht der Einzige.

John hat alles gut im Blick!

Über Franz von der Allrad-Lkw-Gemeinschaft bekommen wir den Kontakt zu einem Deutschen, der in Ghana bei einer Goldmine arbeitet. Thorsten verspricht uns zu helfen und schickt uns seinen Chefmechaniker. Während wir auf diesen warten, haben wir aber bereits die Aufmerksamkeit der vielen anderen Mechaniker erregt. „Leaf springs, no problem at all!“, den Spruch kennen wir schon. Wir sind und bleiben skeptisch. Nach unseren bisherigen Erfahrungen kann immer jeder alles, mit dem Ergebnis, dass am Ende meistens alles schlimmer ist als zuvor. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Als Chefmechaniker John schließlich zu uns stößt, übernimmt er sowieso nur die Einsatzleitung: Er besorgt eine gebrauchte Feder, sucht einen Schmied, der ein Federauge schweißen kann und organisiert die Mechaniker, die uns das umgemodelte Ersatzteil einbauen. Gut, dass Heppo trotzdem noch mithilft. Wenn er nicht aufgepasst hätte, hätten wir nun einen verbogenen Rahmen und abgerissene Bremsleitungen!

Was für ein unglaublicher Ort!, Foto: Heppo

Magazine ist eigentlich ein gigantischer Schrottplatz, Foto: Heppo

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