Mutig sein!

Trotz unserer verfrühten Rückkehr nach Deutschland möchte ich nach wie vor von Afrika berichten. Hier geht es also nun weiter mit einem Bericht aus Ghana (Januar 2020):


Heute ertrage ich die Aussicht nur gefiltert!

Als wir am nächsten Morgen aufwachen, dem ersten Tag des neuen Jahres 2020, realisiere ich erst,  was neben dem Rising Phoenix so los ist. Das Gewusel dort hatte ich gestern schon irgendwie registriert, aber offenbar war mein Gehirn von all der Information  so komplett überfordert gewesen, so dass ich wohl immer schräg daran vorbei geguckt haben  musste. Dabei ist das, was dort geschieht, eigentlich ganz normal und einfach nur typisch Afrika. Auf einem großen Platz spielt sich das gesamte Leben des gleichzeitig so dörflichen wie städtischen Viertels von Accra ab. Da wird gekocht, gewaschen, Kinder spielen und Hunde laufen durcheinander. Man massiert sich gegenseitig, streitet, dealt mit Gras, raucht Zigaretten und trinkt Alkohol. Alles, einfach alles, spielt sich hier öffentlich ab.
Etwas von der Ferne betrachtet sieht dieses afrikanische Sittengemälde aus wie ein riesiger Haufen aus Menschen, Tieren und großen Töpfen. Doch bei längerer Beobachtung dieses eigentlich harmlosen Wimmelbildes merke ich, wie meine Synapsen das wilde und bunte Durcheinander nur schwer ertragen können. Manchmal muss man mutig sein, vor allem bei Dingen, die man so gar nicht erwartet.
Vielleicht verhält es sich hier ja ein bisschen so wie bei der Geschichte mit den Schiffen von Columbus. Diese konnten  von den  amerikanischen Ureinwohnern nicht wahrgenommen werden, einfach deshalb, weil das, was sie sahen, so völlig anders war als alles, was sie bisher gekannt  hatten. Eine seltsame Erfahrung, das merke ich gerade jetzt, und ein Lehrstück darüber, wie Wahrnehmung funktioniert.

Ähnliche Themen beschäftigen auch das amerikanische Lehrerehepaar Polly und Leo. Die beiden sympathischen Kalifornier, die gerade ein Auslandsjahr als Lehrer an einer internationalen Schule in Accra verbringen, hatten wir in der Ashanti-Region bei einem der Kente-Weberdörfer kennengelernt. Obwohl ich sonst selten so forsch bin, hatte ich damals die beiden nach ihrem Kontakt gefragt. Nun haben wir uns  mehr oder weniger selbst zu ihnen eingeladen. Die Sympathie ist aber zum Glück gegenseitig. Sie wohnen in einem mit Stacheldraht gesicherten Anwesen der Schule, in dem  ausschließlich Mitarbeiter der Lincoln School untergebracht sind.

Polly ist Grundschullehrerin und fiebert bereits der Rückkehr nach Kalifornien entgegen. Leo als Kunstlehrer kann dagegen Ghana doch einiges abgewinnen, vermutlich sogar sehr viel. In seinen großformatigen Arbeiten beschäftigt er sich mit Voodoo, Geistern, unheiligen Familien, wilden Männern, dem Boogieman und Opfergaben. Wiederkehrende Symbole sind anatomisch gezeichnete Herzen und Krähen. Ganz schön düster! Dazu sitzen die beiden in einer fast komplett verdunkelten und stark gekühlten Wohnung und hören dunklen Ambientsound – ein extremer Kontrast zum bunten und heißen Leben draußen vor der Tür. Fast scheint es, als ob die beiden ein (dunkles?) Geheimnis hätten…

Trotzdem, diese beiden Menschen sind so liebenswert und gastfreundlich, dass wir uns auf der Stelle sehr wohl bei ihnen  fühlen. Interessante Leute sind das, die bereits in Japan, Indien, Saudi Arabien und an vielen weiteren Ländern auf dieser Welt als Lehrer gearbeitet haben. Ghana wird aber wohl ihre letzte Auslandserfahrung bleiben, denn die beiden sind eigentlich schon längst im Rentneralter. Ich finde ihr Engagement auf jeden Fall sehr bewundernswert. Sie ähneln in mancher Hinsicht dem  Resort-Besitzer Philippe vom Fanta Folly‘s Beach. Hier  treffen wir also schon wieder auf Menschen, die sich nicht gemütlich in festgefahrenen Bahnen bewegen, sondern die sich trotz ihres fortgeschrittenen Alters ihre Neugier bewahrt haben und Neues ausprobieren wollen. Sie sind für mich ein Vorbild, und ich nehme mir fest vor, auch weiterhin neugierig, mutig und unerschrocken zu sein. Kein schlechter Vorsatz für das neue Jahr, nicht wahr?