Der Botschafter

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Verwüstung stoppen!

Monsieur Tidiane Diagana ist ein Tausendsassa. Zusammen mit einer deutschen Delegation eines Geflügelzüchterverbandes sitze ich in seinem gemütlich und altmodisch eingerichteten Büro in Nuakschott, in dem ein kreatives Chaos aus Skizzen und Zeichnungen die Herrschaft über Schreibtisch und Sitzgelegenheiten übernommen hat. „Ich bin Hannoveraner!“, sagt Diagana. Sein Deutsch klingt nur wenig eingerostet.

„Ah!“ und „Oh!“ machen wir im Chor, wenn dieser zugleich rüstig und tattrig wirkende Herr, ich schätze ihn über 80 Jahre alt, wieder ein weiteres Schwarz-weiß Foto aus seinem offenbar recht erfolgreichen Leben herumgehen lässt. Da ist einmal der junge Tidiane beim Hürdenlauf. Etwas später sehen wir ihn als einzigen schwarzen Spieler bei einem hannoveranischen Fußballverein. In der Blüte seiner Jahre zeigen ihn die Bilder dann als erfolgreichen Architekten, viele zusammen mit dem ehemaligen  Präsidenten von Mauretanien. Zahlreiche Konzepte entwickelte er für die Regierung, um die Wüste von der Hauptstadt fernzuhalten. Er dachte daran, Bäume zu pflanzen, die eine natürliche Barriere gegen den Sand bilden sollten.  Nuakschott liegt z.B. deutlich unter dem Meeresspiegel, immer wieder wurden ganze Stadtteile vom Ozean verschluckt. Auch hier hatte er kluge Gedanken: Er empfahl,  natürliche Barrieren zu schaffen und nicht zu nah ans Meer zu bauen. Aber viele seiner Ideen verschwanden wieder in der Schublade. Sie wurden nie in die Tat umgesetzt, denn die Stadt wuchs viel zu schnell. Ursprünglich war sie konzipiert für ein paar tausend Menschen, heute ist Nuakschott Millionenstadt. Trotz diverser Rückschläge scheint Monsieur sehr stolz auf sein Lebenswerk zu sein. Er genießt es außerdem, ein Publikum zu haben.

Nuakschott liegt unter dem Meeresspiegel (Foto: Heppo)

Ich bin verwirrt… Am Vormittag hatte ich Monsieur noch als Konsul der Elfenbeinküste kennengelernt. Dass er ein kultivierter Gentleman war, fiel mir natürlich auf und auch seine wunderschönen Zeichnungen, mit denen die Wände seines Büros dekoriert waren. Sie ließen bereits vermuten, dass dieser Botschafter ein vielfach talentierter Mann ist. Dass er aber offenbar auch noch Sportler und Student in Deutschland war, später ein wichtiger Architekt für die erst 1959 gegründete Hauptstadt Mauretaniens war und nun auch Kontakte zu deutschen Geflügelzüchtern unterhält, muss ich mir erst einmal zusammenreimen. Als ich am Nachmittag unser Visum abholen möchte, werde ich zu diesem bereits laufenden Meeting hinzugebeten. Die mehrheitlich aus Hamburg stammenden Rentner wollen sich in ihrem neuen Lebensabschnitt noch für Afrika engagieren und suchen nun nach einer Geflügelrasse, die mit den schwierigen ariden Bedingungen auskommt. (Fazit: Es gibt keine!) Nun sind sie,  ähnlich  wie ich, ziemlich überrascht, als ich ganz vorsichtig – in einer längeren Gesprächspause, während der Herr in seinem Fotoordner kramt – mein Anliegen erneut vorbringe.

„Was? Monsieur ist auch noch der Konsul der Elfenbeinküste? Ja, so was! Welche Ehre!“
„Ach ja, das Visum!“, meint der Botschafter, so als ob es ihm gerade erst wieder einfallen würde, und nachlässig blättert er in unseren Reisepässen. Wie er die Aufmerksamkeit genießt und die Verblüffung der Geflügelzüchter!

„Ein bisschen wie Angela Merkel!“, meint er mit Blick auf mein Passfoto von 2013, das mich mit einem runden Topfdeckelhaarschnitt zeigt, tatsächlich nicht unähnlich dem der Nochkanzlerin.  „Sie und ihr Mann sehen sich außerdem ähnlich!“, lacht er und zeigt nun unsere  Papiere herum. Die Scherze auf unsere Kosten finde ich gemein und außerdem komplett aus der Luft gegriffen. Die Besucher denken wohl wie ich; es ist ihnen offensichtlich peinlich, und  sie hüsteln verlegen.

Ganz Zauberkünstler zieht der Botschafter nun eine Münze hervor und legt sie auf seinem Handrücken ab. „Soll ich sie werfen?“, fragt er. „Visum? Ja oder nein?“ Er grinst schelmisch. Doch mit der anderen Hand kramt er bereits nach dem Stempel. Eine Hamburgerin möchte fotografieren. „Lass das!“, zischt ihr Mann, „Das ist eine Amtshandlung!“ Schnell zieht sie ihre Hand aus ihrer Handtasche zurück und blickt schuldbewusst.

Alle Augen ruhen nun auf unseren aufgeschlagenen Pässen. Aufreizend langsam drückt Monsieur Diagana den Stempel ins Kissen, lässt diesen sekundenlang über dem Büchlein schweben, um endlich den ersehnten Eintrag in unsere Reisedokumente zu machen.

Ich freue mich über das erteilte Visum, fast aber noch mehr über dieses Erlebnis. Denn ich weiß schon jetzt, dass diese Episode eine feine, kleine Geschichte für meinen Reiseblog abgeben wird.

Schön ist es,  am Strand in Nuakschott zu sein (Foto: Heppo)