Weihnachten am Strand

Trotz unserer verfrühten Rückkehr nach Deutschland möchte ich nach wie vor von Afrika berichten. Hier geht es also nun weiter mit einem Bericht aus Ghana (Dezember 2019):


Musiktipp: Dela Botri

Zwiespältige Gefühle am schönen Butre Beach

Sidis Blutbild ist frei von Parasiten! Auch sonst sind keinerlei Auffälligkeiten zu erkennen, einzig die Anzahl der weißen Blutkörperchen ist zu niedrig. Wie sehr es uns auch freut, dass eine Erkrankung durch Zecken damit so gut wie ausgeschlossen ist, so sehr sind wir auch gleichzeitig beunruhigt. Was ist nur der Grund für Sidis seltsame Krankheitsschübe? Fürs erste jedoch sieht es gut aus: Unser Hund hat kein Fieber mehr und wirkt deutlich munterer.

Wir beschließen, wieder zurück an den Strand zu fahren. Die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage halten uns jedoch davon ab, nach Busua zurückzukehren, dem beliebtesten Beach dieser Region. Uli meint: „Dort ist die Hölle los! Partypeople und großer Rummel!“ Mittlerweile fällt es uns leicht, uns vorzustellen, wie eine Weihnachtsfeier in Ghana ausfallen könnte und denken dabei an riesige Lautsprecherboxen mit schlechter, ohrenbetäubender Musik. „Wenn ihr eher die Ruhe sucht, dann empfehle ich euch das Fanta Folly‘s Beach Resort in der Nähe von Butre! Das ist ein echter Geheimtipp, wunderschön, ruhig, nette Leute, gutes Essen!“

Vor Fanta Folly’s Beach Resort

Abgesehen vom völlig katastrophalen Weg dorthin hat Uli Recht: Fanta Folly’s ist ein Traum! Hübsche, gemauerte Steinhäuschen stehen zwischen Palmen, ein weißer Sandstrand liegt direkt vor deren Türen. Wir dürfen günstig parken und die Anlage mitbenutzen. Auch wenn Nobel-Essen-gehen eigentlich nicht in unserem Budget enthalten ist, gönnen wir uns dort ab und zu eine leckere Mahlzeit, zubereitet vom französischen Besitzer. Gerne sitzen wir auch danach noch in der Bar und lassen uns von Phillippe sein Leben erzählen. Der fast 60- jährige ist witzig und unterhaltsam. Fast sein ganzes Leben verbrachte er in Afrika, zuerst in Mali und Burkina Faso als Touristenführer. Als es dort zu gefährlich wurde, zog er vor bald 16 Jahren nach Ghana, um dort das Beach Resort aufzubauen. Am Faszinierendsten finde ich, dass er lebt, als ob er 20 wäre. Demnächst bekommt er mit seiner nigerianischen Frau Fanta Zwillinge, dann würde er gerne seinen Besitz verkaufen und nach Portugal ziehen. Toll, wenn einer immer noch den Mut und die Kraft findet, um neu anzufangen.

Weihnachten am Strand, wie herrlich!

Die Ruhe und Muse am Butre Beach tut nicht nur uns gut, sondern auch Sidi, der zum Glück täglich wieder fitter wird. Wir nehmen ihn mit ins etwa 3 Kilometer entfernte Dorf Butre, wo Heppo bei einer Schneiderin zwei bunte Hemden in Auftrag gegeben hat. Das Dorf ist malerisch, vor allem die improvisierte Holzbrücke über den Fluss sieht ziemlich abenteuerlich aus. Aus allerhand Holzresten wurde hier ein monströses und buckeliges Konstrukt zusammengeschraubt. Die Lücken zwischen den einzelnen Planken sind so groß, dass man (fast) hindurch fallen kann; ein Geländer gibt es natürlich nicht. Das Dorf wirkt verschachtelt. In den engen sandigen Gassen, laufen Tiere und Kinder wild durcheinander. Die Schneiderei ist zugleich eine Dorfbar. Laute, aber sehr gute Musik läuft hier, ein nacktes Kleinkind wälzt sich im Sand, die ersten Gäste drängen sich betrunken an den Tresen und bestellen Schnaps. Aus einer sehr kleinen und sehr dunklen Kammer kommt die Schneiderin und reicht Heppo die Hemden zur Anprobe. Auf den ersten Blick sehen sie gut aus, doch genauer besehen gibt es doch einiges zu beanstanden. Die Knöpfe am Bündchen zeigen beim linken wie beim rechten Ärmel nach links, und das Innenfutter franst bereits aus … Aber für 3 Euro pro Hemd darf man sich wirklich nicht beschweren. Phillippes Kommentar: „Das ist nicht Jean Paul Gaultier, aber sieht doch gut aus!“

Diese arme Schildkröte landete wohl in der Weihnachtssuppe…

Dann erzählt er uns noch wirklich schreckliche Dinge über Butre. Laut seinen Angestellten ist dies erst kürzlich passiert: „Ein Mädchen wurde in das Dorf verschleppt und dort vergewaltigt! Sie ist noch immer verschwunden.“ Als wir ungläubig gucken, meint er. „Solche Dinge passieren hier laufend! Oft geht es dabei auch um Voodoo. Die Fischer nehmen gerne Ortsfremde mit aufs Meer. Dann geht der Mann über Bord. Das ist gut für das Dorf und gut für den Fisch! Alles wissen es. Keiner hat ein Problem damit.“ Mir wird unheimlich, und ein bisschen vermute ich auch einen versteckten Rassismus hinter seinen Aussagen. Aber Phillippe wehrt ab. „Nein, ich bin sicherlich kein Rassist. Ich habe eine Nigerianerin geheiratet und lebe schon seit 25 Jahren in Afrika, aber es gibt Dinge hier, die man einfach nicht verstehen wird. Voodoo gehört dazu. Das ist wunderschön und schrecklich zugleich. Es wird viel schwarze Magie praktiziert.“ Ich schaudere. „Apropos,“ fügt Phillippe hinzu, „geht auf keinen Fall alleine über den Berg nach Busua; ihr werdet sonst mit Sicherheit ausgeraubt.“ Ich frage mich, wie das sein kann, dass ein Ort so paradiesisch aussieht und gleichzeitig so viel Abgründiges bereithält?

Fast zu kitschig um wahr zu sein…

Trotz allem beschließen wir, uns nicht unsere gute Laune verderben zu lassen, denn heute ist Weihnachten. Wir stehen um 5.30 Uhr auf, weil wir mit dem Guide Peter vereinbart haben, eine kleine Kanutour in die Mangroven zu machen. Zu Fuß gehen wir wieder nach Butre. Die Wanderung ist im Morgenlicht besonders schön; der Dschungel atmet Dampf aus, und auch aus dem Meer streckt sich Feuchtigkeit den ersten Sonnenstrahlen entgegen.
Eine gefesselte Schildkröte zerstört die Idylle. Das Tier liegt direkt am Strand und atmet schwerfällig. Ihr Blick ist unglaublich resigniert. Neben ihr stehen grimmig aussehende Burschen. Sie sind mit schweren Macheten bewaffnet. Sie erzählen, dass sie auf „Lösegeld“ von Fanta Folly‘s und der benachbarten Hideout Lodge warten. Beide Resorts haben es sich zur Aufgabe gemacht, die gefangenen Tiere wieder freizukaufen, da diese sonst todsicher im Suppentopf landen werden. Einerseits verständlich bei der Armut der Bevölkerung, aber natürlich ein Drama für die uralten Tiere und das bedrohte Ökosystem. Der Anblick ist auf jeden Fall nichts für Zartbesaitete. Während wir uns von Peter mit einem Kanu in die Mangroven rudern lassen, verfolgt mich noch lange der gequälte Blick der Schildkröte – und mein schlechtes Gewissen. Hätten wir das Tier nicht einfach an Ort und Stelle freikaufen sollen?

Fotosession am Strand: Sidi – zum Glück – wieder wohlauf

Die Fahrt auf dem Fluss gefällt uns, sie ist aber nicht weiter spektakulär. Die wenigen Tiere, die wir zu Gesicht bekommen, sind ein kleiner Waran, der über dem Wasser perfekt getarnt auf einem Ast sitzt, sowie silbrig glänzende Flusskrebse, die mit speziellen Fallen – aus Bast geflochtenen Körben – gefangen werden. Anschließend machen wir noch eine kleine Wanderung zum schönen, felsigen Coconut Beach, der auf halbem Weg zwischen Butre und Busua liegt.

Abenteuerliche Brücke

 

Zusammen mit Peter am Coconut-Beach

Der Heilige Abend verläuft feucht-fröhlich in gemischter Runde aus Österreichern, Franzosen und Deutschen. Phillippe deutet halb ironisch, halb resigniert auf eine Kette aus Lichtern draußen am Meer. „Merry Xmas! Die hab ich extra für euch bestellt! Was sagt ihr zu meiner Dekoration?“ Bisher hatte ich diese zwar wahrgenommen, mir allerdings keine weiteren Gedanken dazu gemacht. Uli reagiert zuerst: „Aber Lichtfischerei ist doch verboten!“ „Ja, das interessiert hier doch keinen.“, antwortete Phillippe. Traurig blicken wir auf das schaurig-schöne Spektakel am Horizont und schweigen. Als die Stille unangenehm wird, hebt einer von uns das Glas und verkündet: „Und übrigens: Frohe Weihnachten!“

Posing am Butre Beach

Trotz allem verbringen wir mit Nichtstun, Schreiben, Lesen und Schwimmen eine ganze wunderbar entspannte Woche im Fanta Folly’s Beach Resort. Um vor unserer Abreise unser schlechtes Gewissen zu beruhigen und den nächsten Schildkröten eine zweite Chance zu ermöglichen (die letzte landete leider wohl tatsächlich im weihnachtlichen Suppentopf der Dorfbevölkerung), spenden wir zusammen mit unserem Freund Matthias 100 USD für künftige Rettungsaktionen. Wer das Projekt ebenfalls unterstützen möchte, hier der Link zu Fanta Folly‘s Beach Resort und dem Schildkrötenhilfsprojekt.

Strandspaziergang