In der Kiesgrube

Abgestellter und vergessener Fuhrpark mitten in der Wüste

Heppo und ich sind eher konservativ, was die Nutzung neuer Medien angeht. Sozialen Netzwerken und diversen Messengerdiensten hatten wir uns bisher weitestgehend verweigert. Dass heutzutage mit dem Handy und Kartenmaps navigiert wird, statt mit der Faltkarte aus Papier, haben wir erst fast zu Ende unserer letzten Reise entdeckt. Das erste Smartphone mit GPS kauften wir uns vor fünf Jahren im Iran. Mittlerweile ist die Welt noch besser vernetzt. Die Overlanderszene hat nachgerüstet; und so haben auch wir notgedrungen einen Technologieschub hingelegt: Auf unseren Handys finden sich nun diverse Apps wie Duolingo zum Französisch lernen, Instagram zum Teilen von Fotos und Videos, Mapsme und Osmand+ zum Navigieren oder Ioverlander für die Stellplatzsuche. Besonders letztere haben wir nun relativ oft zu Rate gezogen, um zu sehen, wo andere vor uns wild gecampt, halboffiziell geparkt oder einen Campingplatz aufgesucht hatten. Praktisch ist das. Aber die Welt wird dadurch auch viel kleiner, weniger abenteuerlich und unmysteriöser. „Werden wir alle irgendwann dieselben Reisen machen, dieselben Plätze ansteuern, dieselben Dinge erleben?“, fragen wir uns, wehmütig wie alte Leute, mit ihrem „Früher war alles besser!“.

In Mauretanien kommen wir aber erst gar nicht in die Verlegenheit, das Word Wide Web zu befragen. Die an der Grenze erworbene Simkarte funktioniert nicht, und Internet scheint es abseits der größeren Städte nicht zu geben.

Fast freuen wir uns, für eine Weile den Verpflichtungen der Dauerkommunikation entbunden zu sein. Frei wie wir nun sind, dürfen wir übernachten, wo wir wollen und wohin es hoffentlich vor uns noch niemanden verschlagen hat. Unser Spürsinn, unser Entdeckergeist, der Zufall, das Schicksal führen uns in eine stillgelegte Kiesgrube, wo alte Lastwagen, Bagger, Rüttler und Siebemaschinen – sauber abgestellt in Reih und Glied – reichlich nutzlos auf eine neue Aufgabe zu warten scheinen. Sie wirken wie Dinosaurier, wie aus der Zeit gefallen. Aus deren Schatten löst sich eine lange, dünne Gestalt, ein Mann mit Stock, Turban und Gesichtsschleier. Sein Alter ist schwer zu schätzen. Höflich ist er, und er nähert sich uns zurückhaltend. Französisch kann er nicht, aber dass er hier über diesen vergessenen und abgestellten Maschinenpark wacht, wird doch schnell klar. Er wirkt etwas ratlos. Eigentlich, so dachte er sicher, wird dieser Abend ebenso ereignislos verlaufen wie alle anderen zuvor. Wir standen bis eben noch nicht in seinem Drehbuch, waren so nicht vorgesehen. Nun sind wir aber schon mal da, und wir verstehen, dass er uns später zum Tee erwartet.

Das Leben im Wagen haben wir nicht erfunden…

Sein Zuhause ist ein Frachtcontainer, so wie er auf Züge oder Schiffe verladen wird  und in dem Waren durch die Welt transportiert werden. Genau wie der Mann und seine Maschinen ist er an diesem Ort gestrandet. Eine LKW-Kabine wurde auf ihn gehievt. Dorthin führt eine wackelige Metallleiter. Darin befindet sich ein breites Bett, das uns der Mann sogleich mit bescheidenem Stolz zeigt. Auf drei Seiten kann er davon das Gelände überblicken. Der Container darunter ist spärlich eingerichtet. An der Wand hängen Säcke mit Bohnen, Kartoffeln und Zwiebeln. Das ist sein Vorrat für die nächsten Tage. Auf zwei Matten sitzen wir uns an der Längsseite des Containers gegenüber auf dem Boden, immer bemüht, die Fußsohlen nicht dem andern hinzustrecken, denn das wäre eine grobe Unhöflichkeit. Wir versuchen uns in einfacher Konversation, eine gemeinsame Sprache haben wir nämlich nicht. Er lebt allein, ohne Familie, ohne eigenes Haus. Das hier sei der Ort wo er wohne, das Bewachen seine Arbeit. Seinen Namen verrät uns aber nicht. Er versteht die Frage nicht –  oder möchte ihn nicht preisgeben. Dafür lehrt er uns ein paar Worte seiner Sprache,  Hassaniya.  Burú heißt das Brot, Girté sind die Erdnüsse. Atai sagt man für Tee  und Leviens für Wasser. Sein einziges Licht stammt vom Gaskocher und von einer Taschenlampe, die er nur ab und zu einschaltet. Drei Gläser zuckersüßen und schaumigen Tees schenkt er uns ein. Nach dem dritten Glas ist es Zeit zu gehen. So ist das in Mauretanien. Auch das verstehen wir ohne Worte, nur durch Gesten und das pantomimische Geschick unseres Gegenübers.

Unser namenloser Gastgeber und Heppo

Am nächsten Morgen kommt er nochmal vorbei, um uns auf Wiedersehen zu sagen. Mit ihm zusammen kommt eine Stimmung von Einsamkeit und Melancholie in diesen sonnigen Morgen. Wir schenken ihm eine Kerze und Streichhölzer. Ein Streichholz zündet er an, sieht zu, wie es abbrennt und nickt bedächtig. Fast möchte ich ihn für diesen unnötigen, kleinen Luxus schelten. Dann schäme ich mich für diesen Gedanken und bin froh, dass ich nichts gesagt habe. Auch über die Kekse und die Dose Fisch scheint sich der zurückhaltende Mann zu freuen. Für ein Foto nimmt er seinen Turban ab, was ich schade finde. Er sieht nun älter aus, vielleicht wie 60. Wir hatten ihn jünger geschätzt.

Dann ist es an der Zeit weiter zu ziehen. Im Gehen windet sich der Herr über die stille Kiesgrube wieder sein Tuch um Gesicht und Kopf. Er erklimmt einen kleinen Hügel, dann dreht er sich noch einmal um. Eine einsame Gestalt bleibt uns in Erinnerung und eine Hand, die ernst und feierlich zum Gruß erhoben wird.

Abschiedsgruß des melancholischen Mauretaniers

Nachtrag: Kurz überlegen wir, ob wir diesen Ort auf Ioverlander teilen möchten  und diesem Mann auf diese Weise ein kleines Zusatzeinkommen ermöglichen sollen. Aber irgendetwas hält uns davon ab, in sein Leben einzugreifen. Wer weiß, was wir alles verändern würden?Vielleicht würde er mit Touristen etwas Geld verdienen, aber vielleicht würde ein plötzlicher (auch noch so kleiner) Geldsegen auch Neider auf den Plan rufen. Der Mann könnte seine Arbeit als Wächter verlieren und damit sein kleines Zuhause, seine Würde, seinen Stolz. Wenn wir nur immer wüssten, welche Folgen unsere Handlungen haben…?