Die Sufigemeinschaft von Maden

Ökodorf Maden

Blickt man oben vom Funkturm herab auf das Dorf Maden (auch: Maaden oder El Maaden), so sieht man eine Art Schichtkuchen. Da sind die schwarzen und grauen Felsblöcke im Vordergrund. Unten im Tal kuscheln sich die kleinen, verschachtelten Häuser und Hütten aneinander, nur ab und zu überragt von einem Minarett oder einer Moschee. Dahinter erstreckt sich das grüne, fruchtbare Band der Oase. Im Hintergrund verwandeln sich die gelben Sanddünen der Sahara zu immer größer und größer werdenden Haufen, Hügeln und schließlich zu recht ansehnlichen Bergen. Dann erst kommt der Himmel, der je nach Tageszeit mal blau oder grau über allem schwebt. Es ist so viel, was das Auge da aufnehmen muss, dass das Gehirn fast nicht hinterherkommt mit dem Ordnen, Anschichten und Auftürmen.

Bohnenabau in Maden

Ganz ähnlich muss es dem Dorfgründer gegangen sein, einem Marabut, der im Jahr 1970 die Vision hatte, an dieser Stelle ein Dorf zu gründen. Der Anhänger einer Sufigemeinschaft war ein weiser und wahrscheinlich auch ein charismatischer Mann. Denn schnell fanden sich neue Bewohner ein, die eine Gemeinschaft sein wollten, in der humanitäre Werte groß geschrieben werden. Die Hautfarbe sollte keine Rolle spielen, auch Standesunterschiede sollten nicht wichtig sein. Sogar die Frauen sollten als gleichwertige Mitglieder der Gemeinschaft akzeptiert werden. Das alles erklärt mir der Imam, Sohn des 2003 verstorbenen Marabuts, nachdem er mir ganz selbstverständlich die Hand zum Gruß gereicht hatte.

Das Sufidorf Maden

Vor dem Gästehaus

Was sich für uns wenig spektakulär anhört, ist jedoch in Mauretanien eine Besonderheit. Mauretanien ist ein Land, in dem – zumindest nach unserem Verständnis – noch vieles im Argen liegt: Frauen wird allgemein der Handschlag verweigert, Menschen anderer Religionen werden oftmals verachtet. Die Sklaverei, die offiziell im Jahre 2007 (!) unter Strafe gestellt wurde – ein 2003 erlassenes Verbot wurde einfach nicht beachtet – existiert  in der Realität leider immer noch fort. Die taz schreibt dazu: „Menschenrechtler schätzen die Zahl der Menschen in Leibeigenschaft in dem Land auf rund 100.000 – bei einer Bevölkerung von gut 3 Millionen Menschen.“ Reiche und hellhäutige Mauretanier, die sogenannten Mauren, halten sich dunkelhäutige Hausangestellte mit wenig Rechten, meist Nachfahren der Haratin.

In Maden sollte es anders sein, und heute sind alle stolz auf das Dorf und seine besonderen Werte. Und noch etwas erzählt mir der ruhige und besonnen wirkende, junge Imam: „Mein Vater verbot der Dorfgemeinschaft, zu betteln und neidisch auf den Besitz der anderen zu blicken. Stattdessen gab er jeder Familie ein Stück Land und erließ das Gebot, dass die Bewohner nur von den Früchten ihrer Arbeit leben sollen.“

Erst jetzt fällt mir auf: Obwohl uns eine große Schar Kinder umringt, ist dies das erste Dorf, wo uns keine Rufe nach Geschenken, nach Bonbons, Bällen oder Kugelschreibern entgegenschallen.

Kinder in Maden

Auch Pierre Rabhi, ein französischer Schriftsteller algerischer Abstammung, wurde vor ein paar Jahren auf das Dorf aufmerksam. Er gilt als ein Vordenker der ökologischen Landwirtschaft. Seit den 1980er Jahren verbreitet der Visionär in Form diverser Stiftungen seine Gedanken zu einem respektvollen Umgang mit Mensch und Natur in Europa und Afrika. Stolz zeigen uns die zwei Dorfbewohner Lemi und Jibrel die neuen landwirtschaftlichen Maschinen, Geschenke der Stiftung. Ein Vertikutierer ist dabei, ein Steinschneider, eine Tiefkühltruhe und diverse Spaten, Rechen und Hacken. Allerdings sehen einzig die Hennamühle und der Traktor so aus, als ob sie in regelmäßigem Gebrauch wären. Der Rest setzt in einem Abstellraum Staub an… “Arbeitshandschuhe könnten wir allerdings schon brauchen!”, bitten ein paar Damen von der Frauenkooperative dann doch noch schüchtern, als wir ihr mit zarten Keimlingen bestücktes Karottenbeet bewundern. „In Maden werden die Karotten für Nuakschott produziert!“, erklärt uns Lemi stolz.

Hier könnte man bleiben

Sogar ein Gästehaus gibt es im Zentrum des Dorfes, ein Ort für Reisende, Freunde und Menschen, die länger im Dorf bleiben und mithelfen möchte. Wir dürfen uns hinsetzen und ausruhen, entspannt in das Dorf und die dunkler werdende Nacht blicken. Der Imam entschuldigt sich, er muss zum Gebet. Doch auch das läuft hier anders ab als in so vielen islamischen Dörfern. Etwas abseits von uns setzt sich der Imam nun zu einer Gruppe Erwachsener, die sich, bunt gemischt, Frauen und Männer, im Kreis auf dem Boden niedergelassen haben. Es wird gemurmelt und rezitiert und gesungen. Beruhigend ist das und auch hypnotisch. Süßer Tee materialisiert sich vor uns, dann sogar noch ein vegetarisches Nudelgericht. Über Geld wird nicht gesprochen, aber dennoch ist klar, dass wir dieser kleinen und sympathischen Gemeinschaft vor unserer Abreise eine kleine Unterstützung dalassen werden.

Führung durch die Oasengärten

Später werden wir es sehr schade finden, dass wir nur eine Nacht in Maden geblieben sind. Es wäre reizvoll gewesen, noch mehr über das Dorf und seine entspannten Bewohner zu erfahren. Doch Heppo fürchtet sich vor der schrecklichen, steilen und stufigen Auffahrt, dem einzigem Weg zurück zur Hauptstraße. Etwas, das ich am Anfang dieses Artikels vergessen habe zu erwähnen, war das Gehirn doch noch mit dem Ordnen der vielen Eindrücke beschäftigt.

Kurz: Die Straße ins Dorf war (und ist) wirklich ein Graus!  Über große, schräge Steinplatten und Stufen aus dem gleichen Material rumpelte Frau Scherer hinab ins Tal. Als wir ausstiegen, waren wir ganz blass um die Nase.

Der Weg zurück sei jedoch kein Grund zur Beunruhigung, versichern uns die Bewohner. Die Straße sei in einem ausgezeichneten Zustand. Wenn nämlich sogar schwer beladene Karottenlaster die Piste bewältigen könnten, dann würden wir das ebenso schaffen, und zwar mit Leichtigkeit.

Lemi träumt davon, eine offizielle Ausbildung als Tourguide in Atar zu machen