Der Wind der Westsahara

oder: Die Bohnenborzen von Boujdour

Die West-Sahara ist schön, der Wind dort ist allerdings echt grausam. Hier seht ihr die Dracheninsel bei Dahkla.

Wind, Wind, Wind. Seit wir in der Westsahara sind, pfeift er uns um die Ohren und gebärdet sich dabei wie ein Wahnsinniger. Er spuckt uns mit Sand an, bis es zwischen unseren Zähnen knirscht und unsere Körper komplett mit einer feinen Staubschicht überzogen sind. Sachte rüttelt er erst an unserem Lastwagen, um dann mit bösartiger Aggressivität auf Frau Scherers Flanken einzuschlagen. In seinen guten Momenten benutzt er unseren Dachständer als Blasinstrument und bringt ihn auf diese Weise sogar recht melodiös zum Singen. In seinen weniger guten Zeiten brüllt er ohne Unterlass in einer unverständlichen Sprache auf uns ein. Der Geräuschpegel ist enorm und allgegenwärtig. Ich kann mir schon kaum mehr vorstellen, wie unser Leben ohne ihn war.

Er tobt und brüllt und verschiebt große Mengen an Sand.

Harmattan heißt dieser Wind, der oft große Mengen Sahara-Sand mit sich führt und die Sicht verschleiert. Heute morgen reißt mir dieser personifizierte Irrsinn mit einer fiesen Bö die Fahrertür des Lastwagens aus der Hand. Die Türhalterung wird dabei durchtrennt, so dass sich die Tür über den eigentlich vorgesehenen 90 Grad Winkel hinaus nun im 180 Grad Winkel öffnen lässt. Unser linker Blinker lässt dabei sein Leben und fliegt in 1000 Stücke zerschlagen davon.

So viel Wind gibt es in der Westsahara, dass die Stadt Dahkla als das Windsurfing-Mekka gehandelt wird.

Abgesehen von dieser Herausforderung finden wir unsere Reise durch die Westsahara aber bisher ganz spannend. Diese Gegend wird von vielen Overlandern oft wenig beachtet und nur als Transit genutzt. Wir aber mögen diese stark von der Sahara geprägte Landschaft irgendwie. Da ist die schroffe Seilküste zum Atlantik hin, und immer wieder tauchen wunderbare weiße Dünenfelder auf, die wie große Schneehaufen aussehen. Marokko pumpt ja eine Menge Geld in die Infrastruktur der West-Sahara. Doch monströse Sandverwehungen drohen die nagelneue Straße bereits wieder zu verschlingen. Tatsächlich ist die Strecke aber oft auch sehr eintönig. Über viele Kilometer ist die steinige Wüste links und rechts der Straße einfach nur flach und schmuddelig braun. Wären da nicht die vielen leerstehenden Geisterdörfer, die für etwas Abwechslung sorgen…  Sie wurden in der Hoffnung gebaut, dass besetzte, unwirtliche Gebiet zu besiedeln. Die Bewohner dazu müssen aber erst noch gefunden werden. Größeren Unterhaltungswert haben da schon die Orte, die sich rund um die Militärposten, Garnisionen- und Kasernen zu kleinen Städten entwickelt haben. Boujdour, zum Beispiel, ist so einer. Ein Hauch von Wilden Westen weht hier zusammen mit dem Harmattan durch die Straßen. Heppo hat ein Faible für solche Unorte. Sie wecken bei ihm direkt die Lust auf das Cowboygericht Bohnen. Nachdem wir ein paar Einkäufe erledigt haben, macht sich mein Mann stante pede auf die Suche nach der „Bohnenborze von Boujdour“, wie er verschmitzt erklärt. (Borze = süddeut. Slangausdruck für Kaschemme, schmuddeliges Restaurant, schummrige Kneipe). Gar nicht so einfach, da die Kleinstadt gerade großen Hunger auf Pizza zu haben scheint. An allen Ecken und Enden wird ausschließlich das italienische Nationalgericht angeboten. Witzig ist das, weil man Pizza  sonst eher selten in Marokko angeboten bekommt.
Aber wie immer in diesem Land gilt hier die Regel: Bietet es einer an, bieten es alle an! Dennoch ist die Bohnenkaschemme in fast allen marokkanischen Städten fast mit 100iger Gewissheit zu finden. Sie ist nämlich der Aufenthaltsort eher älterer marokkanischer Männer. Hier finden sie sich zusammen, um zu plaudern, um Tee zu trinken und das billigste aller Gerichte zu essen: „Liubia“. So heißen die Bohnen auf Arabisch, die zusammen mit Brot für einen Betrag zwischen 5 und 10 MAD (0,50 bis 1,00 Euro) serviert werden. Frauen und – ganz allgemein gesprochen – Touristen verirren sich jedoch eher selten hierher. Nach anfänglicher Skepsis ernten wir bald anerkennende Blicke, denn wir essen beide mit gutem Appetit. Als Nachschlag bekommt daher jeder von uns noch einen großen Teller Linsen spendiert. Beim Teetrinken und Teezubereiten haben wir allerdings noch Nachholbedarf. Zwar versenken wir mutig den faustgroßen Brocken Zucker in der ebenso kleinen (oder großen) Teekanne. Beim Versuch aber, das Gemisch fachmännisch zwischen den Gläsern hin- und her zu schütten, um die schaumige Krone zu erzeugen, geht leider  die Hälfte daneben. Peinlich!

Derart frisch gestärkt machen wir uns schließlich weiter auf den Weg durch die West-Sahara. Und ich denke mir: „Harmattan, trau Dich nur her! Mit fiesen Winden können wir nun kontern.“

Sieht aus wie Schnee, ist aber Sand