Archiv der Kategorie: Marokko 2019

Wasser in Dakhla

Windsurfen in Dakhla

In der weltbekannten Windsurferstadt Dakhla möchten wir noch einmal vor dem Grenzübertritt nach Mauretanien unsere Wasservorräte auffüllen. 15 Kanister à 10 Liter haben wir an Bord, doch die sind fast alle leer.
Am eigentlich sehr hübschen Strandabschnitt PK 25 wohnen seit vielen Jahren Wohnmobilrentner aus Frankreich. Mit Zäunen, Plastikteppichen und Satellitenschüsseln haben sie das Terrain um ihre fahrbaren Eigenheime abgesteckt, rein rechtlich aber handelt es sich bei dem Strand um öffentliches Gelände, das diese Dauercamper wie einen Privatbesitz verteidigen. Sogar fließendes Wasser haben sie hier, das sich aus einer schwefliges Quelle speist. Ich mache mich an das Auffüllen unserer Brauchwasserkanister. Dem älteren, schwarzbraun gebrannten Franzosen in schwarzem T-Shirt und kurzer Militärhose geht das aber offenbar zu langsam. Ohne mich zu fragen, dreht er den Wasserhahn so auf, dass das Wasser über mein Kleid und meine Schuhe plätschert. Was für ein Rüpel! Ein Gentleman der guten französischen Schule ist das wohl nicht! Ich gehe weg.
Sollen diese griesgrämigen und missgünstigen Franzosen doch in ihrer kleinen spießigen Welt mit ihrem Schwefelwasser vor sich hinmüffeln. Wir müssen sowieso besseres Wasser finden.

Das soll es für Touristen angeblich im Chateau d‘eau (Wasserschloss) am Rande der Innenstadt geben. Wir haben vorab schon von anderen Reisenden gehört, dass das Prozedere in Dakhla nicht einer gewissen Komik entbehrt. So sind wir aber bereits vorgewarnt und wissen, dass wir zuerst durch ein kleines Loch in der Mauer rufen müssen. Tatsächlich streckt dort sogleich ein junger, lustiger Mann seinen Kopf heraus. Leider kann er aber nur wenig Französisch. So viel wird aber klar: Um hier Wasser zu erhalten, wird ein Bezugsschein benötigt. Woher wir diesen allerdings bekommen sollen, kann er mir nicht erklären. Nur vage deutet er nach links, entlang der Hauptstraße.

Rufe durch das Loch und flirte mit Monsieur Rachid, dann klappt’s auch mit dem Eau potable for tourists in Dakhla

Ich bemerke vor allem immer zu Beginn einer Reise, wie wichtig es ist, aufmerksam zu sein, Informationen an den richtigen Stellen zu erfragen, zu erinnern und in Bezug zueinander zu setzen: Fähigkeiten, die in unserer Welt oft nicht mehr sehr entwickelt sind, da wir zu sehr abgelenkt werden von all den elektronischen Medien, die unsere Aufmerksamkeit nicht bündeln, sondern sprunghaft von einer Sache zur anderen verschieben. „On the road“ lernen wir aber immer wieder schnell, besser zu beobachten. Nach über einem Monat unterwegs sind unsere Sinne also bestens geschärft.

Und so gehe ich zielsicher in das Gebäude schräg gegenüber, auf dem eine kleine marokkanische Flagge weht. Im zweiten Stock sitzt Monsieur Rachid an einem großen Schreibtisch in einem kleinen, dunklen Raum.

„Bonjour! Salam. Lebes. Becher. Al Hamdulilah!“, geht unsere Begrüßung nach Landessitte hin und her. 1000 Liter (weniger geht nicht) werden mir in 5 Coupons à 200 Litern zugeteilt, für nur 15 MAD. Der verschmitzte Mann ist mir sympathisch und ich ihm umgekehrt auch. „Die Deutschen und Engländer sind immer angenehm und freundlich!“, plaudert der oberste Wasserzuteiler nun munter aus dem Nähkästchen. Aber diese Franzosen seien “pas terrible”*. Wegen 1,50 Euro (für 1000 Liter!) würden die immer einen Aufstand machen, es sei kaum auszuhalten. Nach meinem Erlebnis mit dem rabiaten Wasserhahnaufdreher glaube ich Monsieur Rachid sofort. Ich nicke verständnisvoll: „Wirklich, pas terribel!“ Als ich nach Kleingeld krame, winkt er ab. „Geschenkt!“

Freudig halte ich dem lustigen Mann am Loch in der Wand kurz darauf einen der fünf Scheine unter die Nase.(Wir brauchen ja nur etwa 80 Liter.) Er stellt sich doof, und eine gemeinsame Sprache haben wir nicht. Doch auch hier überwiegt wieder die Sympathie : Wir dürfen unsere Kanister auffüllen.

Für unsere neuen Reisebekannten aus Hamburg, die etwa fünf Reisetage hinter uns ebenfalls in Richtung Mauretanien unterwegs sind, hinterlassen wir einen kleinen Schatz: Unter einem Baum gegenüber der Wasserstelle verscharren wir ein altes Kapernglas und markieren die Stelle mit zwei blauen Steinchen. Darin enthalten: ein Wasserbezugsschein für „eau potable for tourists“.

* Anmerkung: “pas terrible” bedeutet in der Umgangssprache tatsächlich etwas anderes, als man normalerweise übersetzen würde. Damit meint man “nicht so toll”, “nicht gerade gut”, auch “mies”. (Beliebter Witz: “C’est pas mauvais, mais pas terrible, haha…”)

Der Wind der Westsahara

oder: Die Bohnenborzen von Boujdour

Die West-Sahara ist schön, der Wind dort ist allerdings echt grausam. Hier seht ihr die Dracheninsel bei Dahkla.

Wind, Wind, Wind. Seit wir in der Westsahara sind, pfeift er uns um die Ohren und gebärdet sich dabei wie ein Wahnsinniger. Er spuckt uns mit Sand an, bis es zwischen unseren Zähnen knirscht und unsere Körper komplett mit einer feinen Staubschicht überzogen sind. Sachte rüttelt er erst an unserem Lastwagen, um dann mit bösartiger Aggressivität auf Frau Scherers Flanken einzuschlagen. In seinen guten Momenten benutzt er unseren Dachständer als Blasinstrument und bringt ihn auf diese Weise sogar recht melodiös zum Singen. In seinen weniger guten Zeiten brüllt er ohne Unterlass in einer unverständlichen Sprache auf uns ein. Der Geräuschpegel ist enorm und allgegenwärtig. Ich kann mir schon kaum mehr vorstellen, wie unser Leben ohne ihn war.

Er tobt und brüllt und verschiebt große Mengen an Sand.

Harmattan heißt dieser Wind, der oft große Mengen Sahara-Sand mit sich führt und die Sicht verschleiert. Heute morgen reißt mir dieser personifizierte Irrsinn mit einer fiesen Bö die Fahrertür des Lastwagens aus der Hand. Die Türhalterung wird dabei durchtrennt, so dass sich die Tür über den eigentlich vorgesehenen 90 Grad Winkel hinaus nun im 180 Grad Winkel öffnen lässt. Unser linker Blinker lässt dabei sein Leben und fliegt in 1000 Stücke zerschlagen davon.

So viel Wind gibt es in der Westsahara, dass die Stadt Dahkla als das Windsurfing-Mekka gehandelt wird.

Abgesehen von dieser Herausforderung finden wir unsere Reise durch die Westsahara aber bisher ganz spannend. Diese Gegend wird von vielen Overlandern oft wenig beachtet und nur als Transit genutzt. Wir aber mögen diese stark von der Sahara geprägte Landschaft irgendwie. Da ist die schroffe Seilküste zum Atlantik hin, und immer wieder tauchen wunderbare weiße Dünenfelder auf, die wie große Schneehaufen aussehen. Marokko pumpt ja eine Menge Geld in die Infrastruktur der West-Sahara. Doch monströse Sandverwehungen drohen die nagelneue Straße bereits wieder zu verschlingen. Tatsächlich ist die Strecke aber oft auch sehr eintönig. Über viele Kilometer ist die steinige Wüste links und rechts der Straße einfach nur flach und schmuddelig braun. Wären da nicht die vielen leerstehenden Geisterdörfer, die für etwas Abwechslung sorgen…  Sie wurden in der Hoffnung gebaut, dass besetzte, unwirtliche Gebiet zu besiedeln. Die Bewohner dazu müssen aber erst noch gefunden werden. Größeren Unterhaltungswert haben da schon die Orte, die sich rund um die Militärposten, Garnisionen- und Kasernen zu kleinen Städten entwickelt haben. Boujdour, zum Beispiel, ist so einer. Ein Hauch von Wilden Westen weht hier zusammen mit dem Harmattan durch die Straßen. Heppo hat ein Faible für solche Unorte. Sie wecken bei ihm direkt die Lust auf das Cowboygericht Bohnen. Nachdem wir ein paar Einkäufe erledigt haben, macht sich mein Mann stante pede auf die Suche nach der „Bohnenborze von Boujdour“, wie er verschmitzt erklärt. (Borze = süddeut. Slangausdruck für Kaschemme, schmuddeliges Restaurant, schummrige Kneipe). Gar nicht so einfach, da die Kleinstadt gerade großen Hunger auf Pizza zu haben scheint. An allen Ecken und Enden wird ausschließlich das italienische Nationalgericht angeboten. Witzig ist das, weil man Pizza  sonst eher selten in Marokko angeboten bekommt.
Aber wie immer in diesem Land gilt hier die Regel: Bietet es einer an, bieten es alle an! Dennoch ist die Bohnenkaschemme in fast allen marokkanischen Städten fast mit 100iger Gewissheit zu finden. Sie ist nämlich der Aufenthaltsort eher älterer marokkanischer Männer. Hier finden sie sich zusammen, um zu plaudern, um Tee zu trinken und das billigste aller Gerichte zu essen: „Liubia“. So heißen die Bohnen auf Arabisch, die zusammen mit Brot für einen Betrag zwischen 5 und 10 MAD (0,50 bis 1,00 Euro) serviert werden. Frauen und – ganz allgemein gesprochen – Touristen verirren sich jedoch eher selten hierher. Nach anfänglicher Skepsis ernten wir bald anerkennende Blicke, denn wir essen beide mit gutem Appetit. Als Nachschlag bekommt daher jeder von uns noch einen großen Teller Linsen spendiert. Beim Teetrinken und Teezubereiten haben wir allerdings noch Nachholbedarf. Zwar versenken wir mutig den faustgroßen Brocken Zucker in der ebenso kleinen (oder großen) Teekanne. Beim Versuch aber, das Gemisch fachmännisch zwischen den Gläsern hin- und her zu schütten, um die schaumige Krone zu erzeugen, geht leider  die Hälfte daneben. Peinlich!

Derart frisch gestärkt machen wir uns schließlich weiter auf den Weg durch die West-Sahara. Und ich denke mir: „Harmattan, trau Dich nur her! Mit fiesen Winden können wir nun kontern.“

Sieht aus wie Schnee, ist aber Sand

Tierarzt in Laayoune

Schöner Kreisverkehr bei Tan Tan

Wir haben es uns in den Kopf gesetzt, für Sidi ein aktuelles Gesundheitszeugnis auf Französisch und Arabisch zu bekommen, das mindestens für den Grenzübertritt nach Mauretanien Bestand haben soll. Auf unserer letzten Reise durch Zentralasien hat zwar niemand jemals ein solches Dokument sehen wollen, aber irgendwie wollen wir dieses Mal alles richtig machen. Nachdem unser Versuch in Guelmim gescheitert ist, versuchen wir nun unser Glück in Laayoune, einer Kasernenstadt am nördlichen Rand der Sahara.

Sidi ist gänzlich unbeeindruckt ob der Aufregung um sein Gesundheitszeugnis

Die Westsahara ist seit 1976 durch Marokko besetzt. Zuvor war sie im Zuge der Kolonialherrschaften französisches und  spanisches Gebiet. 1975 wurde das Territorium dem Volk der Sahrauis zugesprochen. Doch König Hassan II. (Marokko) organisierte daraufhin den sogenannten “Grünen Marsch“,  bei dem 350.000 Teilnehmer in die Sahara vordrangen. Die Befreiungsorganisation Frente Polisario der Sahrauis wehrte sich gegen die Besetzung und rief die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) aus. Ergebnis: Marokko annektierte den nördlichen Teil,  während Mauretanien das südliche Drittel zugesprochen wurde. Im folgenden Widerstandskampf, der finanziell von Algerien unterstützt wurde, hatten die Polisario trotzdem das Nachsehen. Mauretanien zog sich zwar 1979 aus dem Konflikt zurück und trat seine Gebietsansprüche an die DARS ab, Marokko jedoch besetzte daraufhin schnell auch noch diesen Teil der Sahara. Die Militärpräsenz ist daher in der Westsahara relativ groß. Außerdem hat man eine etwa 2500 Kilometer lange Mauer in Form eines verminten Erdwalls mitten durch die Wüste gebaut. Marokkanische „Siedler“ werden mit hohen Gehältern und allerlei Vergünstigungen in diese unwirtliche und dünn besiedelte Region gelockt. So ist das Leben hier steuerfrei, was z.B. günstigeres Tanken ermöglicht. (Das ist im Moment jedoch nur unwesentlich billiger, 8,5 MAD pro Liter statt 9,5 MAD).

Eine fantastische, neue Straße führt uns mitten durch die Wüste

Abseits aller politischer Wirren suchen wir aber immer noch nach einem Tierarzt.
Unsere kleine Odyssee beginnt in einer Apotheke. Ohne eine gemeinsame Sprache finde ich bei der jungen Angestellten immerhin heraus, dass es eine offizielle Behörde für Tierangelegenheiten in Laayoune gibt. Sie schreibt mir den Namen der Behörde auf Arabisch auf, angeblich steht dort „Agricole“. Die genaue Adresse weiß sie leider nicht.  Wenigstens notiert sie für uns noch den Namen eines Platzes. Mit unserer Navigationsapp ist sie allerdings restlos überfordert. Das kann ja lustig werden! 

Viel Straße, viel Sand, viel Sonne

So frage ich als nächstes drei pubertierende Jungs nach dem Weg. Die werden aber nur rot und kichern nervös, als ich sie anspreche. Ein älterer Herr mischt sich ein und weist uns die Richtung zum genannten Platz, den wir auch prompt finden. Aber was nun? In einer Bank spreche ich einen blinden Mann an, der mich zum Allgemeinarzt gegenüber schickt. Die Praxis hat jedoch zu. Im Café nebenan würdigt der Kellner meinen Zettel keines Blickes. Stattdessen zieht er mich in den Handyladen nebenan. Der Verkäufer dort ist sehr bemüht, mir zu helfen, ist aber selbst neu in der Stadt und kennt sich nicht aus. Plötzlich habe ich eine Eingebung: Ich erinnere mich an ein Schild, das ich vorhin aus dem Augenwinkel heraus wahrgenommen habe. „Agrecol“ stand da und „2ieme etage“. Also schnell hoch in den zweiten Stock. Statt in einer Tierarztpraxis stehe ich aber nun in der Rezeption einer Zeitarbeitsfirma. Der Mann am Empfang freut sich über die Ablenkung. Er selbst kennt zwar  keinen Tierarzt, aber seine Kollegin könne vielleicht weiterhelfen, meint er freundlich. Die Kollegin ist zum Glück Katzenbesitzerin. Sie kann mir auf der Karte zeigen, wo wir einen Veterinär finden können. Und tatsächlich:  Nur 500 Meter weiter stehen wir vor einer landwirtschaftlichen Behörde. Leider hat diese heute aber schon geschlossen. „Morgen Vormittag wieder.“, sagt der schielende Portier.

Am nächsten Tag werden wir schon früh im Amt vorstellig. Die Ärztin ist wahnsinnig nett, lustig und sympathisch. Sie versteht unser Anliegen, aber da es sich um einen Tierimport nach Mauretanien handeln würde und keiner von ihnen jemals einen ähnlichen Fall bearbeitet hat, muss sie sich erst schlau machen. Wir sollen einfach um 15 Uhr wiederkommen, dann weiß sie mehr.

Wir sind guter Dinge und harren bis drei Uhr vor dem Gebäude aus. Doch dann bekommen wir leider Folgendes zu hören: Für Tierimporte in andere Länder liegen zwar alle möglichen Dokumente vor, leider fehlen aber genau die Bestimmungen  für Mauretanien. Die Dame hat aber bereits in Rabat nach Formular und dem genauen Prozedere gefragt. Eine Antwort steht allerdings noch aus.. Ich versuche ihr zu erklären, dass uns auch ein weniger formelles Schriftstück genügen würde, zur Not sogar eines ohne Unterschrift und Stempel. (Den würde ich gegebenenfalls selbst hinzufügen.)  Die Dame versteht genau, was ich von ihr möchte. Sie ist auch keineswegs ungehalten, da sie aber bei einer offiziellen Behörde arbeitet, kann sie mir nicht weiterhelfen. Ein privater Tierarzt, meint sie,  könne mir aber vielleicht ein entsprechendes Dokument ausstellen. Ein kurzer Telefonanruf wird getätigt,  und ein Monsieur Mohammed erklärt sich auf der Stelle bereit, uns zu treffen.

Als Treffpunkt bekommen wir eine Bankfiliale in einer Straße genannt, und so geht es für uns  erst einmal quer durch die Stadt. Die genannte Straße ist  nur  eine winzige Gasse, in die wir nicht mit unserem LKW hinein fahren können. Auch von einem Kreditinstitut ist weit und breit nichts zu sehen. Wir ziehen einen Passanten hinzu, um Monsieur Mohammed am Telefon unseren aktuellen Standort zu erklären. Auf diese Weise erhalten wir einen neuen Treffpunkt,  eine Tankstelle, ca. 500 Meter weiter. Dort treffen wir endlich auf den Veterinär und seinen Sohn.

Zusammen mit den beiden geht es wieder zurück in das Wohnviertel, wo wir tatsächlich ein e kleine Tierarztpraxis vorfinden. Monsieur Mohammed nimmt seine Untersuchung sehr ernst. Sidis Temperatur wird gemessen, sein Zahnfleisch, seine Augen und seine Fell begutachtet. Der Hund ist bei bester Gesundheit, so lautet der Befund des Tierarztes nach einer Weile. Die Madame wird damit beauftragt, den Rapport zu tippen, was  schwierig ist, weil  sie kein Französisch kann. Und Französisch ist die Sprache der Wahl, sagt Monsieur Mohammed. Arabisch hingegen wird weder von den Behörden in Marokko noch von denen in Mauretanien anerkannt. „Ça, c‘est le colonialism, Madame!“, fügt er durchaus kritisch hinzu.

Das Dokument, das wir schließlich in Händen halten, sieht reichlich selbstgebastelt aus;  und auch das Französisch ist gewöhnungsbedürftig. 300 Mad kostet uns das gute Stück, fast 30 Euro. Ganz schön teuer ist das, aber ich habe gerade keine Kraft mehr, um zu protestieren. Das Geld soll Monsieur gerne haben. Die zweitägige Schnitzeljagd durch die Stadt hat Spaß gemacht, war aber auch ziemlich anstrengend, und unterm Strich war es den ganzen Aufwand nicht wert. Ganz ehrlich, das war bestimmt das allerletzte Mal, dass wir ein Gesundheitszeugnis für Sidi haben machen lassen!

Unsere Empfehlung für alle, die mit Hund reisen: Die Mühe, sich ein Gesundheitszeugnis ausstellen zu lassen, lohnt sich nicht. Lasst es einfach bleiben! Für alle, die aber trotzdem partout Monsieur Mohammed in Laayoune einen Besuch abstatten möchten, hier die Koordinaten: 27.131771 und -13.177337.  Der Veterinär freut sich bestimmt über das schöne Zusatzeinkommen.

Off Topic: Die Antifa ist in Tan Tan auch schon da, sogar mit einem Reisebus 😀

Ab in die Wüste

Musiktipp: Gnawa Diffusion

Diesiges Wetter dank des Kanarenstroms

Das Wetter an der Küste ist schon seit Tagen sehr diesig, neblig und eher feucht. Die Temperaturen sind dafür sehr angenehm, wohl kaum mehr als 28 Grad. Verantwortlich für dieses Phänomen ist der kalte Kanarenstrom, der um diese Jahreszeit für dieses spezielle Wetter sorgt.

Ich finde den Nebel eigentlich sehr schön.

Auch wenn es uns gerade gut gefällt und Heppo großen Spaß am Surfen hat, so haben wir doch das Gefühl, etwas Strecke in Richtung Süden und West-Sahara machen zu müssen. Wir biegen also ab in Richtung Guelmim ins Landesinnere; dort wollen wir unsere Trinkwasservorräte auffüllen und – wenn möglich – einen Tierarzt finden, der für Sidi ein Gesundheitszeugnis für den bevorstehenden Grenzübertritt nach Mauretanien ausstellt.

Freundliches Haus auf dem Weg nach Guelmim.

Je weiter wir uns von der Küste entfernen, desto mehr lichtet sich der Nebel. Bald wird es heiß, unerträglich heiß. Leider haben wir kein Thermometer an Board, aber wir schätzen, dass es weit über 40 Grad Celsius haben muss. Wir sind total ausgedörrt, als wir in Guelmim ankommen. Ich habe einen krebsroten Kopf;  der Schweiß läuft mir in Strömen über den ganzen Körper. Er tropft mir von der Stirn, verfängt sich in meinen Wimpern und brennt mir in die Augen. Auch der arme Sidi kommt gar nicht mehr aus dem Hecheln heraus und weiß gar nicht, wohin er sich flüchten soll.

Der dubiose Wasserhahn von Guelmim mit bestem Trinkwasser.

Zum Glück gibt es noch immer den etwas dubios wirkenden Wasserhahn, der am Rande von Guelmim einfach aus einer rostroten Mauer ragt. Die halbe Stadt scheint dort Wasser zu holen. Grundsätzlich ist das ein gutes Zeichen, aber so dauert es eine Weile,  bis wir 11 Kanister a 10 Liter komplett aufgefüllt haben. Das Warten lohnt sich jedoch;  das Wasser hat wirklich gute Qualität und schmeckt weder nach Salz noch nach Chlor. Unser Ehrgeiz ist es nach wie vor, so wenig Wasser wie möglich zu kaufen, denn der anfallende  Berg an Plastikmüll wäre enorm. Und Wasser zu kaufen ist auf Dauer auch gar nicht billig: 5 Liter kosten etwa 11 Dirham, also einen Euro. Wir versuchen daher, unseren Wasserbedarf aus Quellen und Brunnen zu decken. Um Erkrankungen vorzubeugen, filtern wir aber konsequent jeden Tropfen. Auch wenn es uns gerade sehr schwerfällt, so beherrschen wir unseren Durst und pumpen erst das Wasser durch den Katadyn, bevor wir es trinken. An diesem Tag ist es jedenfalls so heiß, dass jeder von uns sage und schreibe 10 Liter trinken wird.

Die Wüste zeigt Zähne: Heiß ist es und staubig!

Vom Tierarzt habe ich leider nur eine ungefähre Adresse, aber nach etwas Suchen stehen wir vor der Praxis., die leider geschlossen hat. Es ist  verdammt heiß, und kein Schatten weit und breit. Glatter Selbstmord wäre es jedenfalls, im LKW auf den Veterinär zu warten. Wir beschließen daher, weiterzufahren und den Tierarztbesuch  erst in der Westsahara zu erledigen.

Plötzlich eine Windhose

Hinter Guelmim zeigt uns die Wüste, wozu sie neben dieser wahnsinnigen Hitze außerdem noch fähig ist: Sand steht plötzlich vor uns in der flirrenden Luft und formt geisterhafte Schattengebilde. Sandhosen tänzeln erst auf uns zu, um dann vor meiner Kamera zu fliehen. Fast scheint es, als würden  sich diese wirbelnden, kleinen Derwische einen Spaß daraus machen. Immer, wenn ich das Phänomen gerade festhalten möchte, verschwindet der Wirbelsturm, ganz so, als ob gar nichts gewesen wäre. Wie tausend kleine Schlangenwesen huscht der gelbe Sand nun über den schwarz glänzenden und spiegelnden Asphalt. Die Wüste scheint ein Eigenleben zu führen. Es ist, als ob sie uns eine Warnung schicken würde: „Nehmt Euch in Acht, ihr Bleichgesichter! Unterschätzt mich bloß nicht. Ihr habt es nämlich nun mit mir zu tun, der schrecklichen Sahara!“ Wir haben verstanden und plötzlich mächtig Respekt vor dieser großen Wüste, an deren Anfang wir uns erst befinden.

In der Luft stehende Sandwolke. Ich wusste vorher gar nicht, dass es so etwas gibt.

Und dann finden wir noch einen schönen Übernachtungsplatz.

Surfen in Marokko

Schönes El Jadida: Die Cité Portugaise ist Weltkulturerbe.

Musikempfehlung zu diesem Artikel: Was Said gerne nach einem Surftag bei einer kleinen Entspannungszigarette hört: Wes Mackey und B. B. King.

Uns zieht es weiter an der Küste entlang. Über das verschlafene Azzemour und das touristisch herausgeputzte El Jadida mit seiner portugiesischen Festungsanlage, die übrigens UNESCO-Weltkulturerbe ist, fahren wir in den schicken Ort Oualidia. 2006 waren wir schon einmal mit dem Rucksack hier. Nun staunen wir nicht schlecht: Das Dorf war uns als eher verschlafen in Erinnerung geblieben und der halbrunde Strand mit seinen dramatischen Felsen vor allem deswegen, weil meine Turnschuhe an den scharfkantigen Steinen damalsihr Leben ließen. 13 Jahre später ist Oualidia nicht wiederzuerkennen. Aus dem Dorf ist eine kleine Stadt geworden, mit neuen Ferienhäusern und – für marokkanische Verhältnisse – extrem teuren Fischrestaurants (Gerichte ab 150 MAD). Zahlreiche Touristen sind hier. Es fällt auf, dass viele von ihnen einen kolonialistischen Kleidungsstil pflegen. SIE trägt ein langes fließendes, pastellfarbenes Kleid, Strohhut und Sonnenschirmchen. ER hat einen sandfarbenenen Zweiteiler an und ein weißes Hemd. Die Anzughose ist lässig auf Hochwasserlänge gekrempelt. Die weißen Füße wühlen sich in den Sand. Teure Halbschuhe stehen daneben. Perfekt, dass in dieser beeindruckenden Kulisse zwischen bunten Fischerbooten und kreisenden Möwen auch Austern geschlürft werden können (Direktverkauf durch die Fischer). Sieht gut aus, weckt dennoch vielleicht komische Assoziationen bei den Einheimischen. Wahrscheinlich ist das aber nur die logische Konsequenz, wenn die ganze Welt durch die schöne „Instagram“ -Brille betrachtet wird.

Nur die scharfkantigen Felsen sind gleich geblieben. Sonst hat sich in Oualidia fast alles verändert.

Wir haben genug gesehen, und Heppo möchte sowieso nur eines. (Nein, nicht das, was ihr denkt!), sondern surfen. Es ist schon sieben Jahre her, dass er zum letzten Mal auf seinem Board stand. Der weltbekannte Surfspot Lalla Fatna hat es ihm angetan. Über eine gewundene, kurze Serpentinenstrecke geht es die Steilküste hinab bis fast zum Strand. Wir bleiben aber auf halber Strecke bei einem größeren Parkplatz stehen, weil der Weg danach für unseren LKW zu steil und die Kurven zu eng werden. Atemberaubend ist, was wir erblicken: Toller, weißer Strand, fantastischer Blick über die felsige Steilküste und ein wildes, wogendes Meer.

Schöner Strand bei Lalla Fatna

Im hippen Café am Strand treffen wir Said. „Klar, kann ich Heppo ein paar Surfstunden geben!“, sagt der muskulöse Surfboy. „Aber nicht hier!“, fügt er hinzu. Der Platz sei zu schwierig. Profis aus aller Welt kämen extra nach Lalla Fatna. Die Wellen seien allerdings hier  zu hoch, die Strömung zu extrem. Aber ein paar Kilometer weiter, in Safi, sei ein guter Spot, um sich wieder mit dem Meer vertraut zu machen.

Katze im Surfcafé

Was er denn für zwei oder drei Stunden Unterricht haben wolle, fragt Heppo. „Just love and peace…“, antwortet Said mit fester Stimme und schiebt leise ein gemurmeltes „…and 200 Dirham.“ hinterher.

Lustige Aufwärmübungen am Strand…

Zusammen mit unserem neuen Bekannten geht es nach Safi in den Industriehafen. Dass hier direkt am Strand eine große Fabrik steht, muss einfach ausgeblendet werden. Sonst ist es ja eigentlich ganz schön. „Die Industrie ist wirklich kein Problem“, meint Said, denn die Strömung fließt angeblich  in die andere Richtung. Während Heppo sich schon mal surffertig macht und lustige Aufwärmübungen absolviert, positioniere ich mich mit der Kamera am Strand, um die kommenden Stunts meines Mannes festzuhalten. Ich werde nicht mal die kleine Zehe ins Wasser halten, das nehme ich mir fest vor. Heppo übt unterdessen den Sprung auf ein Surfbrett mit Hilfe einer in den Sand gezeichneten Linie,  Sieht gut aus. Anscheinend stellt er sich gar nicht schlecht an, denn er darf gleich ins Wasser. Ziemlich schnell kommt er auf seinem Brett zum Stehen, aber genauso schnell landet er auch wieder kopfüber in der Welle. Ich mache ein paar lustige Flugbilder, bis es mir zu heiß wird und ich zu Sidi und Ventilator in Frau Scherers Schutz auf den Parkplatz flüchte.

Heppo kann das besser, aber ich hatte irgendwann keine Lust mehr zu fotografieren.

Die kommenden Tage werden wir einige der bekanntesten Surfspots Marokkos abklappern. In Sidi Kauki gefällt es uns nicht sonderlich: Das Wasser ist voller Quallen, also schnell weiter. Imessouane ist da schon um einiges beeindruckender: Eine Welle bricht sich dort kontinuierlich an der Kaimauer. Das ist interessant für viele Surfanfänger und auch für Schaulustige und eher Unsportliche wie mich. Scharen von Menschen strömen hier wie die Lemminge ins Wasser, nur um immer wieder an Land gespült zu werden. Für den Beobachter sieht es so aus, als ob immer mehr und noch mehr Leute ins Meer gehen würden. Das neblige Wetter und der Berg, der im Hintergrund von den wenigen Sonnenstrahlen angeleuchtet wird, die es zum Sonnenuntergang durch den Nebel schaffen, sorgen für eine sehr spezielle Stimmung. Und dann sind da noch die unzähligen Hunde, die in den Brackwassertümpeln bei Ebbe nach kleinen Meerestieren suchen, die Katzen, die auf Netzen zusammengerollt liegen, und die Möwen, die sich begierig auf den Beifang der Fischer stürzen. Ich kaufe mir einen frischgepressten Orangensaft in einem der Cafés und freue mich ganz einfach daran, an diesem besonderen Ort zu sein und über die schöne Bucht und die blauen Fischerboote zu blicken.Der Restaurantbesitzer heißt Chakib und ist ein richtiger Charmeur. Deutsch spricht er mit norddeutschem Einschlag. „Ich bin Hamburger.“, sagt er. Als ich zahlen möchte, winkt er ab. „Ach, es geht doch nicht immer nur ums Geld!“. Zum Abschied zwinkert er mir zu: „Verliere nie dein Lachen Kleines. Das ist nämlich ganz wunderbar!“ Auch mal nett, alleine unterwegs zu sein.

Was sich die Möwen wohl denken?

Und was diese Katze?

Heppo hat unterdessen ebenfalls eine Bekanntschaft geschlossen. Nils aus Stuttgart ist ein weißblonder Hüne, der seit fünf Monaten durch Spanien, Portugal und Marokko tingelt und alle Surfspots anfährt. Abends sitzen wir beisammen, trinken Wein und spielen Durak, ein russisches Kartenspiel. Als er enthusiastisch von seiner Mama erzählt, die Kajaklehrerin ist, frage ich vorsichtig nach deren Alter. So etwa 42 oder 43, sei die, meint Nils, genau wisse er es nicht. Während Heppo und Nils sich als Surffans auch über eine Generationengrenze hinweg bestens verstehen, durchlebe ich – unbemerkt von den beiden anderen – eine kleine Midlifecrisis. Da sitze ich nun mit einem 20 jährigen beim Kartenspiel, der theoretisch mein Sohn sein könnte,  und 60-jährige Marokkaner finden mich gut. Völlig unbeeindruckt machen die Männer ein frühmorgendliches Surfen miteinander aus. „Um 6 Uhr aufstehen und dann erst mal Wavecheck laufen gehen“, meint Nils in bestem Neudeutsch. Schließlich gelte es herauszufinden, ob es sich denn überhaupt lohne, sich in den Surfanzug zu quetschen. Ich seufze laut und denke mir still: „Jetzt ist es soweit, ich werde alt!“

Imessouane, wo die Surfer sich wie Lemminge verhalten 

Aus der Bahn: Hier kommt der Profi