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Mauretanien

Zu viel Aufmerksamkeit

Shootingtime in Nuakschott (Foto: Heppo)

Nuakschott befindet sich am Meer. Aber auch hier fehlt wieder das Mondäne und Schöne, denn sehen kann man es nicht. Hinter einer großen Düne liegt der Ort  verborgen. So fehlt das Flair, das viele Städte haben, die an der Küste errichtet wurden. Nicht einmal eine Promenade gibt es. Der größte Teil des Sandstrandes dient dem Fischfang und Handel.

Ein wichtiger Wirtschaftszweig in Nuakschott: Fischfang und Fischhandel (Foto: Heppo)

Einzig die Auberge Terjit Vacances verfügt über ein kleines Stückchen, das zur Erholung dient. An den Wochenenden drängen sich hier die mauretanischen Familien und Jugendlichen auf wenigen Quadratmetern zusammen. Dann wird gebadet (natürlich in voller Montur), gepicknickt, gebetet und zum Zeitvertreib mit dem Luftgewehr auf Getränkedosen geschossen.
Wir sind ebenfalls hier, haben wir doch mit Frau Scherer an der Auberge einen günstigen und recht schönen Stellplatz gefunden.

Fotografieren im Wallegewand (Bubu) ist nicht so einfach…,

…der Wind ist hinderlich!

Zum ersten Mal wird uns bewusst, dass wir nun für lange Zeit die einzigen Weißen sein werden. Entsprechend viel Aufmerksamkeit konzentriert sich nun auf uns. Sofort werden wir umringt von zahlreichen Gruppen: Kindern, jungen Männern, jungen Frauen und Familien. Ein jeder möchte ein Foto mit uns, und nach einigem Zögern kommt es zur Sprache, eigentlich noch viel lieber mit unserem Hund. Die Shootings sind lustig, anstrengend aber auch. „Nein, wir werden unseren Hund weder verschenken noch verkaufen!“, erklären wir gefühlt zum hundertsten Mal. Damit stoßen wir auf Unverständnis, was  wir wiederum nicht verstehen können.

Good looking

Afrika ist hochmobil: Ägyptische Gastarbeiter in Nuakschott

Wir versuchen, uns etwas abzusondern und aus dem Getümmel zu lösen, um kurz durchzuatmen und über den Strand zu schlendern, wie jeder andere auch. Doch dann wird unsere Aufmerksamkeit von einem Wurfspiel und von der nächsten Menschenansammlung angezogen. Kekspackungen, Coladosen und  kleinere und größere Geldbeträge liegen im Sand. Wer will und ein paar Ogouyia über hat, darf mit einem verrosteten Metallring auf die Dinge zielen. Wer es schafft, diesen um Kekse, Coladosen oder Geldscheine zu werfen, darf den Treffer als Gewinn mit nach Hause nehmen. Wir sind abgelenkt und somit leichte Beute für den Dieb, der es auf Heppos kleine Kamera abgesehen hat, die ich mir nur lose unter den Arm geklemmt habe. Ich fühle einen schnellen Ruck, drehe mich um, bin aber zu langsam und sehe nur noch zwei kleine Jungen auseinander stieben und in der Menge verschwinden. Unmöglich zu sagen, wer es von den beiden war oder wie  sie genau ausgesehen haben. Immerhin reagiere ich gut: Statt den Skandal zu scheuen, stimme ich sogleich ein lautes Gezeter an, in das  auch Heppo sofort lautstark mit einstimmt: „Voleur! Dieb! Jemand hat unsere Kamera geklaut!“

Im Hintergrund befindet sich der Schwarzmarkt für Fisch

Noch mehr Aufmerksamkeit konzentriert sich nun auf uns. Sehr unangenehm, das alles! Ein kleiner Junge wird mir vorgeführt. Ob ich den Dieb erkenne? „Nein, keine Chance! Ich möchte auch niemanden zu unrecht beschuldigen! Lasst ihn laufen!“

Heppo droht nun mit Polizei. Dann winkt er einen Securitymann auf seinem Quad herbei. Ein kleiner Junge mit Rotznase reicht mir auf einmal die Kameratasche. „Gerade gefunden!“, sagt er und grinst dabei frech. Erst freue ich mich, dann seufze ich enttäuscht, als ich merke, dass die Hülle leer ist. Die Menge seufzt ebenfalls. Mit unverhohlener Neugier und Sensationslust nehmen die Umstehenden an unserem Ärger und Frust teil. Nun ist auch der Securitymann erbost, auch er spricht von Polizei. Das Zauberwort scheint zu helfen. Plötzlich liegt die kleine Kamera vor mir im nassen Sand. Wer hat sie fallen lassen? Keiner weiß es. Niemand hat etwas gesehen. Aber der kleine Bengel steht schon wieder vor uns. Und mit schiefem Grinsen fragt er nach einem Finderlohn…

Wirklich rotzfrech!

Zum Sonnenuntergang laufen die Fischerboote aus

Der brave Esel wartet schon auf seinen Einsatz zum Abtransport von Fisch

Nuakschott

Knochenbleiche Landschaft mit Rundhauber

Auf einer perfekt geteerten Straße fahren wir nun in den Osten, in die Hauptstadt Nuakschott. Mehrmals wechselt die Landschaft ihre Farbe:
Rotbraun und Beige ist sie im Adrar. Innerhalb von nur 100 Kilometern schafft sie einen Übergang zu sanftem Grün. Dort, wo etwas Regen fiel, ist der Sand nun von feinen Stängeln und Halmen durchzogen. Und plötzlich ist da eine richtige Grasdecke. Kuh-, Ziegen- und Schafherden freuen sich über das reichhaltige Nahrungsangebot.
Schon 150 Kilometer weiter sehen wir das absolute Gegenteil. Unwirtlich ist es nun da draußen. Ein starker Wind weht. Keinen Fuß möchte man hier vor die Tür setzen. Die vorherrschende Farbe nenne ich „Knochenbleich“.
Vor Nuakschott leuchtet der Sand aber nun wieder  in Goldgelb. Die Todesplanetstimmung weicht, und das Gemüt stimmt sich bald auf positivere Gefühle ein.

Unwirtlich kann trotzdem gut aussehen

Die Farbe wechselt zu Gelb, ebenfalls mit Rundhauber

Aber – Moment! – soll das ein Witz sein? Sieht so etwa die Hauptstadt Mauretaniens aus? Hinter dem Ortsschild „Nuakschott“ stemmen sich nur ein paar Zelte und wackelige Hütten tapfer gegen den Wind. Zum Zentrum hin gewinnt Nuakschott jedoch an Größe, Dichte und Präsenz.

Umgekippt? Umgekippt!

Ja, das kann man Stadt nennen. Auch wenn sie nicht schön ist oder weltläufig, aber alles ist da: Botschaften, Banken und sogar Supermärkte! Und trotzdem, die Endzeitstimmung, die wir im ganzen Land feststellen konnten, hat auch die Hauptstadt fest im Griff.

Wie bitte? Das soll die Hauptstadt sein?

Nichts ist neu, nichts glänzt. Alles sieht gebraucht und verbraucht aus. Die Straßen, die Geschäfte und sogar die Menschen befinden sich in einem ewigen Zustand der Improvisation. So stelle ich mir die Welt nach dem Atomkrieg vor, der aber schon ein paar Jahre zurückliegt; Die Menschheit hat sich arrangiert. Man nimmt, was man bekommen kann und nutzt es, solange es eben geht.

Fährt doch noch…

Reifenhändler

Public transport

Schrottautos klappern vor uns durch die Straßen und blasen schwarzen und weißen Qualm in die Luft. Es fährt, was eigentlich nicht mehr fahren kann/darf/muss. Was abfällt, fällt eben ab:
Keine Autotüren mehr? Wer braucht schon Autotüren?
Motorhaube fort? Geht auch ohne!
Blinker weg? Blinker weg!
Und so weiter und so fort…

Ich denke an die deutsche Abwrackprämie. All die Fahrzeuge, die damals entsorgt und verschrottet (!) wurden, würden hier noch locker weitere 10 oder 20 Jahre lang ihren Dienst tun.
Mittlerweile haben wir uns aber schon an den Anblick gewöhnt; wir sind weniger schockiert als fasziniert. Das Abgefuckte hat auch Charme. Verdammt fotogen ist es auch!

Fotogen

Ob der zweite Stern wohl hilft?

Die Sufigemeinschaft von Maden

Ökodorf Maden

Blickt man oben vom Funkturm herab auf das Dorf Maden (auch: Maaden oder El Maaden), so sieht man eine Art Schichtkuchen. Da sind die schwarzen und grauen Felsblöcke im Vordergrund. Unten im Tal kuscheln sich die kleinen, verschachtelten Häuser und Hütten aneinander, nur ab und zu überragt von einem Minarett oder einer Moschee. Dahinter erstreckt sich das grüne, fruchtbare Band der Oase. Im Hintergrund verwandeln sich die gelben Sanddünen der Sahara zu immer größer und größer werdenden Haufen, Hügeln und schließlich zu recht ansehnlichen Bergen. Dann erst kommt der Himmel, der je nach Tageszeit mal blau oder grau über allem schwebt. Es ist so viel, was das Auge da aufnehmen muss, dass das Gehirn fast nicht hinterherkommt mit dem Ordnen, Anschichten und Auftürmen.

Bohnenabau in Maden

Ganz ähnlich muss es dem Dorfgründer gegangen sein, einem Marabut, der im Jahr 1970 die Vision hatte, an dieser Stelle ein Dorf zu gründen. Der Anhänger einer Sufigemeinschaft war ein weiser und wahrscheinlich auch ein charismatischer Mann. Denn schnell fanden sich neue Bewohner ein, die eine Gemeinschaft sein wollten, in der humanitäre Werte groß geschrieben werden. Die Hautfarbe sollte keine Rolle spielen, auch Standesunterschiede sollten nicht wichtig sein. Sogar die Frauen sollten als gleichwertige Mitglieder der Gemeinschaft akzeptiert werden. Das alles erklärt mir der Imam, Sohn des 2003 verstorbenen Marabuts, nachdem er mir ganz selbstverständlich die Hand zum Gruß gereicht hatte.

Das Sufidorf Maden

Vor dem Gästehaus

Was sich für uns wenig spektakulär anhört, ist jedoch in Mauretanien eine Besonderheit. Mauretanien ist ein Land, in dem – zumindest nach unserem Verständnis – noch vieles im Argen liegt: Frauen wird allgemein der Handschlag verweigert, Menschen anderer Religionen werden oftmals verachtet. Die Sklaverei, die offiziell im Jahre 2007 (!) unter Strafe gestellt wurde – ein 2003 erlassenes Verbot wurde einfach nicht beachtet – existiert  in der Realität leider immer noch fort. Die taz schreibt dazu: „Menschenrechtler schätzen die Zahl der Menschen in Leibeigenschaft in dem Land auf rund 100.000 – bei einer Bevölkerung von gut 3 Millionen Menschen.“ Reiche und hellhäutige Mauretanier, die sogenannten Mauren, halten sich dunkelhäutige Hausangestellte mit wenig Rechten, meist Nachfahren der Haratin.

In Maden sollte es anders sein, und heute sind alle stolz auf das Dorf und seine besonderen Werte. Und noch etwas erzählt mir der ruhige und besonnen wirkende, junge Imam: „Mein Vater verbot der Dorfgemeinschaft, zu betteln und neidisch auf den Besitz der anderen zu blicken. Stattdessen gab er jeder Familie ein Stück Land und erließ das Gebot, dass die Bewohner nur von den Früchten ihrer Arbeit leben sollen.“

Erst jetzt fällt mir auf: Obwohl uns eine große Schar Kinder umringt, ist dies das erste Dorf, wo uns keine Rufe nach Geschenken, nach Bonbons, Bällen oder Kugelschreibern entgegenschallen.

Kinder in Maden

Auch Pierre Rabhi, ein französischer Schriftsteller algerischer Abstammung, wurde vor ein paar Jahren auf das Dorf aufmerksam. Er gilt als ein Vordenker der ökologischen Landwirtschaft. Seit den 1980er Jahren verbreitet der Visionär in Form diverser Stiftungen seine Gedanken zu einem respektvollen Umgang mit Mensch und Natur in Europa und Afrika. Stolz zeigen uns die zwei Dorfbewohner Lemi und Jibrel die neuen landwirtschaftlichen Maschinen, Geschenke der Stiftung. Ein Vertikutierer ist dabei, ein Steinschneider, eine Tiefkühltruhe und diverse Spaten, Rechen und Hacken. Allerdings sehen einzig die Hennamühle und der Traktor so aus, als ob sie in regelmäßigem Gebrauch wären. Der Rest setzt in einem Abstellraum Staub an… “Arbeitshandschuhe könnten wir allerdings schon brauchen!”, bitten ein paar Damen von der Frauenkooperative dann doch noch schüchtern, als wir ihr mit zarten Keimlingen bestücktes Karottenbeet bewundern. „In Maden werden die Karotten für Nuakschott produziert!“, erklärt uns Lemi stolz.

Hier könnte man bleiben

Sogar ein Gästehaus gibt es im Zentrum des Dorfes, ein Ort für Reisende, Freunde und Menschen, die länger im Dorf bleiben und mithelfen möchte. Wir dürfen uns hinsetzen und ausruhen, entspannt in das Dorf und die dunkler werdende Nacht blicken. Der Imam entschuldigt sich, er muss zum Gebet. Doch auch das läuft hier anders ab als in so vielen islamischen Dörfern. Etwas abseits von uns setzt sich der Imam nun zu einer Gruppe Erwachsener, die sich, bunt gemischt, Frauen und Männer, im Kreis auf dem Boden niedergelassen haben. Es wird gemurmelt und rezitiert und gesungen. Beruhigend ist das und auch hypnotisch. Süßer Tee materialisiert sich vor uns, dann sogar noch ein vegetarisches Nudelgericht. Über Geld wird nicht gesprochen, aber dennoch ist klar, dass wir dieser kleinen und sympathischen Gemeinschaft vor unserer Abreise eine kleine Unterstützung dalassen werden.

Führung durch die Oasengärten

Später werden wir es sehr schade finden, dass wir nur eine Nacht in Maden geblieben sind. Es wäre reizvoll gewesen, noch mehr über das Dorf und seine entspannten Bewohner zu erfahren. Doch Heppo fürchtet sich vor der schrecklichen, steilen und stufigen Auffahrt, dem einzigem Weg zurück zur Hauptstraße. Etwas, das ich am Anfang dieses Artikels vergessen habe zu erwähnen, war das Gehirn doch noch mit dem Ordnen der vielen Eindrücke beschäftigt.

Kurz: Die Straße ins Dorf war (und ist) wirklich ein Graus!  Über große, schräge Steinplatten und Stufen aus dem gleichen Material rumpelte Frau Scherer hinab ins Tal. Als wir ausstiegen, waren wir ganz blass um die Nase.

Der Weg zurück sei jedoch kein Grund zur Beunruhigung, versichern uns die Bewohner. Die Straße sei in einem ausgezeichneten Zustand. Wenn nämlich sogar schwer beladene Karottenlaster die Piste bewältigen könnten, dann würden wir das ebenso schaffen, und zwar mit Leichtigkeit.

Lemi träumt davon, eine offizielle Ausbildung als Tourguide in Atar zu machen

Am Meteoritenkrater

Musikempfehlung: Dimi Mint Abba mit ihrem Mann Kahlifa Ould Eide

So stellen wir uns Afrika vor

Heppo hat noch Lust auf ein weiteres Offroadabenteuer. Der Guelb Aouelloul hat es ihm angetan, ein Meteoritenkrater, der vor etwa 3 Millionen Jahren entstand.

Welche Spur führt zum Meteoritenkrater Guelb Aouelloul

Wir fahren eine Kombination aus Tracks der Lila Pistenkuh. Erst folgen wir der Beschreibung CHIa ab Chinguetti, dann umfahren wir auf eigene Faust den kleinen Pass und das Weichsandfeld großräumig, um schließlich auf die Route TiDa einzukreuzen.

Weichsand ist schwierig zu befahren, aber schön anzusehen

Die Weichsandfelder haben es jedoch in sich. Ein paar der sandigen Hügel sind so hoch, dass wir nur mit größter Not rauf und wieder runter kommen. Gut, dass wir nun schon etwas Erfahrung haben. Am schlimmsten aber sind die scharfkantigen Steine und Felsstufen, die unseren Reifen arg zusetzen.

Reifenpanne kurz vor Sonnenuntergang

Kein Wunder also, dass wir kurz vor dem Krater eine kleine Panne haben. Die Luft ist raus, der Reifen platt. Aber Reifen wechseln können wir und dauert daher kaum eine halbe Stunde. Heppo bemerkt auch, dass unser Auspuff an der Schweißnaht aufgerissen ist. Das müssen wir wohl demnächst richten lassen.

Am Meteoritenkrater

Zu den letzten Sonnenstrahlen schaffen wir es dennoch, am Kraterrand zu stehen und auf den Kessel unter uns von 390 m Durchmesser u zu blicken. Rosa, blau und gelb verglüht der Tag ins Nachtblaue und Schwarze, während sich die Fledermäuse, aufgeregt hin und her flatternd, über unseren Köpfen auf Nahrungssuche begeben. Als wir den Rückweg antreten, ist es bereits dunkel. Tausende Insekten springen uns im Schein der Taschenlampe an. Ein paar richtig große Brummer sind da dabei und überaus lästige Heuschrecken. Das ist unangenehm. Schnell flüchten wir in unseren LKW. Schade, denn der Sternenhimmel glitzert gerade so wunderbar, und die Milchstraße schlägt eine Brücke bis zur Erde. Doch der Tag war anstrengend, und wir sind müde.

Es ist ruhig. Sicherlich können wir gut schlafen. Und – in dieser Nacht kühlt es ab. Die etwa 700 Höhenmeter machen sich hier positiv bemerkbar. Wir frieren tatsächlich! Ganz bewusst liegen wir noch eine Weile da, ohne uns zuzudecken. Wir genießen die Kälte, bevor wir uns eine leichte Decke über unsere Körper ziehen…

Tags darauf, in der Reifenbude von Atar: Neuen Schlauch einziehen…

Chinguetti

Musikempfehlung zu Mauretanien: Malouma Nebine

Sieht gar nicht so schlimm aus, der Ebroupass, oder?

Ehrfürchtig blicken wir auf den sehr steilen Ebroupass, der über malerische Tafelberge auf das Adrar-Plateau hinaufführt. Sogar die Rallye Paris-Dakar kurvte einst diese halsbrecherische Abfahrt hinab. Diese fand übrigens zum letzten Mal 2007 statt. Wegen Terrordrohungen* wurde sie daraufhin nach Südamerika verlegt.

Tolle Landschaft aus Tafelbergen

Doch der gefürchtete Pass ist zum Glück weit weniger dramatisch als erwartet. Steil ist er schon, aber die Herausforderung für Frau Scherer besteht hauptsächlich darin, im Berggang den Motor nicht zu heiß zu fahren. Kleine Absätze in der Steigung, die eigentlich dazu gedacht sind, Regenwasser über Rinnen gezielt abzuleiten, bieten unserer alten Dame aber immer wieder willkommene, plane Stellen, um sich wieder auf Betriebstemperatur runterzukühlen. Immerhin vier Mal müssen wir ihr eine solche Pause gönnen. Aber bei diesen extremen Temperaturen von über 40 Grad Celsius kommen wir alle ins Schwitzen. Und Frau Scherer muss schließlich die ganze Arbeit leisten.

Frau Scherer machen die extremen Temperaturen schon zu schaffen; immer wieder braucht sie Verschnaufpausen

Unser eigentliches Ziel heißt Chinguetti. Der Ort, dessen Name  irgendwie an  ein italienisches Nudelgericht erinnert, ist seit 1996 Weltkulturerbestätte. Einst bedeutendenes Handelszentrum für durchziehende Karawanen, reisen die Menschen heute vor allem wegen der berühmten, spätmittelalterlichen Textsammlungen an. Hier gibt es viele Schriftstücke mit religiösem Bezug, daher wird Chinguetti auch oft die siebtheiligste Stadt des Islams genannt. Diesen Rang mag dem Ort wohl niemand absprechen, streiten sich die meisten wohl eher um die ersten drei Plätze.

Die Freitagsmoschee: Von Ungläubigen darf sie aber nicht betreten werden. Nur der Blick durch die Tür ist erlaubt.

Auch die schönen Türschlösser verdienen Beachtung

Drei Chinguettis gibt es eigentlich. Aber die erste Stadt wurde vom Sand verschlungen. Der zweite trotzt ihm noch heute; nennen wir sie die Altstadt. Der dritte Teil, die Neustadt, wird eines Tages ebenfalls dem Allesfresser zum Opfer fallen. Doch nicht heute, erst in ein paar Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten wird es so weit sein. Ganz normal, der Lauf der Dinge eben, in Mauretanien…

Liegt hier das alte Chinguetti begraben?

Die sogenannten Bibliotheken befinden sich in der Altstadt. Alle sind sie in Privatbesitz, aber gegen eine kleine Gebühr können sie dennoch besichtigt werden. Zusammen mit unserem Guide Bi landen wir bei Saif al Islam. Stolz erklärt uns der pensionierte Grundschullehrer in bestem Französisch sein Familienerbe. Er zeigt uns ein Werk über Astronomie, eines über die Poesie, in dem sich zwei Dichter unterhalten („ganz wie in einem Chat“), einen winzigen Koran und eines über den Propheten selbst. Vorsichtig öffnet er die Schriftstücke mit seiner grün behandschuhten Hand, zeigt uns sorgsam getuschte Zeichnungen, Miniaturen, Tabellen und lange Zahlenreihen. Wir nicken und blicken ehrfürchtig – diesmal auf die wertvollen Schriftstücke, die wohl eines Tages unter Sand begraben liegen werden. „Le sable, il mange tout!“, sagt Monsieur al Islam daher. Es ist Zeit zu gehen.

Saif al Islam lädt in seine Privatbibliothek

Winziger Koran

* Siehe auch letzter Artikel „Ein Flugzeug wird kommen“ zum Thema “Einbußen im Tourismus”.