Archiv der Kategorie: Ghana

Amüsement in Accra

Musiktipp: Stevo Atambire – Kologo ft Wanlov the Kubolor


Gut aussehend: Apollo von Jolinaiko Eco Tours

In Ghanas Hauptstadt Accra bleiben wir die ersten Tage bei Apollo von Jolinaiko Eco Tours. Er wohnt mit seiner niederländischen Frau in einer schönen, roten Backsteinvilla im Norden der Stadt. Um Accra von Süden nach Norden zu durchqueren, brauchen wir tatsächlich über vier Stunden. Die Stadt ist riesig – und der Verkehr die Hölle. Der Innenhof des kleinen Anwesens, gerade mal so groß, dass Frau Scherer hineinpasst, bildet hingegen eine Oase der Ruhe.

Apollo ist ein ziemlich gut aussehender Mann. Er hat die Ausstrahlung eines Dreißigjährigen, obwohl er bereits Mitte 50 ist. Es ist erstaunlich: Die Menschen in Ghana – Männer wie Frauen – sehen tatsächlich oft wahnsinnig jung aus.

Apollo lässt seine Beziehungen spielen, um uns ein Re-Entry-Visum für Ghana zu besorgen. Angeblich erhältlich man dieses weder in Benin noch in Togo. In wenigen Tagen wollen wir nämlich im Benin beim Voodoo-Festival sein. Unsere einzige Möglichkeit ist es daher, unser Visum noch in Accra zu beantragen.

Apollo ist ein charmanter und guter Erzähler, auch er ist – wie unser „Federspezialist“ George – ein Selfmademan. Aus einer einfachen Familie kommend, hat er es weit gebracht: Unternehmer ist er nun mit einem gut gehenden Reisebüro, er besitzt mehrere Häuser, ist verheiratet mit einer Holländerin und stolzer Vater zweier Kinder. Apollo ist glücklich. Doch das war nicht immer so: Er war ein Suchender, war Muslim, Katholik, Animist und sogar Anhänger einer sogenannten Charismatischen Kirche. Doch seit einigen Jahren versteht er sich als Skeptiker und Atheist. Ihm kamen Zweifel: „Is God deaf?“, fragte er sich irgendwann, weil in Ghana alle Glaubensgemeinschaften so lautstark auf sich aufmerksam machen. Wir freuen uns, endlich mal einen kritischen Geist vor uns zu haben.

Nach einer ruhigen und angenehmen Nacht verlassen wir den Apollos Innenhof, ausgestattet mit einem Kontakt zum Immgration-Office und der Nummer des Guides Hervé für das Voodoo-Festival in Benin.

Is god deaf?

Im Süden von Accra stellen wir uns am Labadi Beach ans Tawala Beach Resort. Allerdings ist der Manager ein richtiger Unsymphath: 200 Cedis, also 30 Euro, will er von uns für einen Parkplatz, der eigentlich kostenfrei sein sollte. Wir handeln den Stellplatz auf 40 Cedis herunter, also auf etwa 6 Euro. Das ist immer noch teuer genug.

Das spannendste in Accra sind sicherlich die unzähligen Straßenverkäufer

Mit dem Taxi fahren wir in die Innenstadt. Touristisch und architektonisch gibt Accra übrigens nicht sonderlich viel her. Der größte Anziehungspunkt ist wahrscheinlich die Oxford Street, wo sich bunte Klamotten- und Souvenirläden aneinander reihen. Auch von der angeblichen Accra Art Week, im Internet groß gehypt, ist weit und breit nichts zu sehen. Eine Ausstellung über die ghanaische Musikrichtung High-Life besteht gerade mal aus drei kleinformatigen Schwarzweiß-Fotos. Größeren Glamour und ein besseres Programm verspricht das ebenfalls gerade stattfindende Afrochella-Festival. Die VIP-Ticket-Preise zu unglaublichen 1800 US$, allerdings inklusive kleiner Rundreise und Champagner-All-Night, passen aber weder in unser Budget noch zu unseren Vorstellungen von gelungenem Amüsement.

Da fahren wir lieber weiter zum +233 Jazz Club, wo die Dela Botri Band spielt. Obwohl wir eigentlich Flötenmusik in Pop und Rock eher sehr anstrengend finden, spielt der Frontman der Band so toll, dass wir sofort komplett verzaubert sind. Überdies treffen wir im Club drei sehr lustige (und unglaublich betrunkene) Engländer, die ihr Geld damit verdienen, aufblasbare Riesenfiguren für Festivals anzufertigen.

Drachenverkäufer

Noch interessanter ist die Begegnung mit dem amerikanischen Musikprofessor und Ethnomusiker Colter Harper, der seit vielen Jahren immer wieder nach Ghana kommt, um Field Recordings anzufertigen. Seine neueste Entdeckung heißt Stevo Atambire und kommt aus dem Norden des Landes. Die besten musikalischen Erlebnisse, sagt er, habe er aber immer noch bei Beerdigungen. So sei das eben, in Ghana!

Finanzsparplan für die eigene Beerdigung

Weihnachten am Strand

Trotz unserer verfrühten Rückkehr nach Deutschland möchte ich nach wie vor von Afrika berichten. Hier geht es also nun weiter mit einem Bericht aus Ghana (Dezember 2019):


Musiktipp: Dela Botri

Zwiespältige Gefühle am schönen Butre Beach

Sidis Blutbild ist frei von Parasiten! Auch sonst sind keinerlei Auffälligkeiten zu erkennen, einzig die Anzahl der weißen Blutkörperchen ist zu niedrig. Wie sehr es uns auch freut, dass eine Erkrankung durch Zecken damit so gut wie ausgeschlossen ist, so sehr sind wir auch gleichzeitig beunruhigt. Was ist nur der Grund für Sidis seltsame Krankheitsschübe? Fürs erste jedoch sieht es gut aus: Unser Hund hat kein Fieber mehr und wirkt deutlich munterer.

Wir beschließen, wieder zurück an den Strand zu fahren. Die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage halten uns jedoch davon ab, nach Busua zurückzukehren, dem beliebtesten Beach dieser Region. Uli meint: „Dort ist die Hölle los! Partypeople und großer Rummel!“ Mittlerweile fällt es uns leicht, uns vorzustellen, wie eine Weihnachtsfeier in Ghana ausfallen könnte und denken dabei an riesige Lautsprecherboxen mit schlechter, ohrenbetäubender Musik. „Wenn ihr eher die Ruhe sucht, dann empfehle ich euch das Fanta Folly‘s Beach Resort in der Nähe von Butre! Das ist ein echter Geheimtipp, wunderschön, ruhig, nette Leute, gutes Essen!“

Vor Fanta Folly’s Beach Resort

Abgesehen vom völlig katastrophalen Weg dorthin hat Uli Recht: Fanta Folly’s ist ein Traum! Hübsche, gemauerte Steinhäuschen stehen zwischen Palmen, ein weißer Sandstrand liegt direkt vor deren Türen. Wir dürfen günstig parken und die Anlage mitbenutzen. Auch wenn Nobel-Essen-gehen eigentlich nicht in unserem Budget enthalten ist, gönnen wir uns dort ab und zu eine leckere Mahlzeit, zubereitet vom französischen Besitzer. Gerne sitzen wir auch danach noch in der Bar und lassen uns von Phillippe sein Leben erzählen. Der fast 60- jährige ist witzig und unterhaltsam. Fast sein ganzes Leben verbrachte er in Afrika, zuerst in Mali und Burkina Faso als Touristenführer. Als es dort zu gefährlich wurde, zog er vor bald 16 Jahren nach Ghana, um dort das Beach Resort aufzubauen. Am Faszinierendsten finde ich, dass er lebt, als ob er 20 wäre. Demnächst bekommt er mit seiner nigerianischen Frau Fanta Zwillinge, dann würde er gerne seinen Besitz verkaufen und nach Portugal ziehen. Toll, wenn einer immer noch den Mut und die Kraft findet, um neu anzufangen.

Weihnachten am Strand, wie herrlich!

Die Ruhe und Muse am Butre Beach tut nicht nur uns gut, sondern auch Sidi, der zum Glück täglich wieder fitter wird. Wir nehmen ihn mit ins etwa 3 Kilometer entfernte Dorf Butre, wo Heppo bei einer Schneiderin zwei bunte Hemden in Auftrag gegeben hat. Das Dorf ist malerisch, vor allem die improvisierte Holzbrücke über den Fluss sieht ziemlich abenteuerlich aus. Aus allerhand Holzresten wurde hier ein monströses und buckeliges Konstrukt zusammengeschraubt. Die Lücken zwischen den einzelnen Planken sind so groß, dass man (fast) hindurch fallen kann; ein Geländer gibt es natürlich nicht. Das Dorf wirkt verschachtelt. In den engen sandigen Gassen, laufen Tiere und Kinder wild durcheinander. Die Schneiderei ist zugleich eine Dorfbar. Laute, aber sehr gute Musik läuft hier, ein nacktes Kleinkind wälzt sich im Sand, die ersten Gäste drängen sich betrunken an den Tresen und bestellen Schnaps. Aus einer sehr kleinen und sehr dunklen Kammer kommt die Schneiderin und reicht Heppo die Hemden zur Anprobe. Auf den ersten Blick sehen sie gut aus, doch genauer besehen gibt es doch einiges zu beanstanden. Die Knöpfe am Bündchen zeigen beim linken wie beim rechten Ärmel nach links, und das Innenfutter franst bereits aus … Aber für 3 Euro pro Hemd darf man sich wirklich nicht beschweren. Phillippes Kommentar: „Das ist nicht Jean Paul Gaultier, aber sieht doch gut aus!“

Diese arme Schildkröte landete wohl in der Weihnachtssuppe…

Dann erzählt er uns noch wirklich schreckliche Dinge über Butre. Laut seinen Angestellten ist dies erst kürzlich passiert: „Ein Mädchen wurde in das Dorf verschleppt und dort vergewaltigt! Sie ist noch immer verschwunden.“ Als wir ungläubig gucken, meint er. „Solche Dinge passieren hier laufend! Oft geht es dabei auch um Voodoo. Die Fischer nehmen gerne Ortsfremde mit aufs Meer. Dann geht der Mann über Bord. Das ist gut für das Dorf und gut für den Fisch! Alles wissen es. Keiner hat ein Problem damit.“ Mir wird unheimlich, und ein bisschen vermute ich auch einen versteckten Rassismus hinter seinen Aussagen. Aber Phillippe wehrt ab. „Nein, ich bin sicherlich kein Rassist. Ich habe eine Nigerianerin geheiratet und lebe schon seit 25 Jahren in Afrika, aber es gibt Dinge hier, die man einfach nicht verstehen wird. Voodoo gehört dazu. Das ist wunderschön und schrecklich zugleich. Es wird viel schwarze Magie praktiziert.“ Ich schaudere. „Apropos,“ fügt Phillippe hinzu, „geht auf keinen Fall alleine über den Berg nach Busua; ihr werdet sonst mit Sicherheit ausgeraubt.“ Ich frage mich, wie das sein kann, dass ein Ort so paradiesisch aussieht und gleichzeitig so viel Abgründiges bereithält?

Fast zu kitschig um wahr zu sein…

Trotz allem beschließen wir, uns nicht unsere gute Laune verderben zu lassen, denn heute ist Weihnachten. Wir stehen um 5.30 Uhr auf, weil wir mit dem Guide Peter vereinbart haben, eine kleine Kanutour in die Mangroven zu machen. Zu Fuß gehen wir wieder nach Butre. Die Wanderung ist im Morgenlicht besonders schön; der Dschungel atmet Dampf aus, und auch aus dem Meer streckt sich Feuchtigkeit den ersten Sonnenstrahlen entgegen.
Eine gefesselte Schildkröte zerstört die Idylle. Das Tier liegt direkt am Strand und atmet schwerfällig. Ihr Blick ist unglaublich resigniert. Neben ihr stehen grimmig aussehende Burschen. Sie sind mit schweren Macheten bewaffnet. Sie erzählen, dass sie auf „Lösegeld“ von Fanta Folly‘s und der benachbarten Hideout Lodge warten. Beide Resorts haben es sich zur Aufgabe gemacht, die gefangenen Tiere wieder freizukaufen, da diese sonst todsicher im Suppentopf landen werden. Einerseits verständlich bei der Armut der Bevölkerung, aber natürlich ein Drama für die uralten Tiere und das bedrohte Ökosystem. Der Anblick ist auf jeden Fall nichts für Zartbesaitete. Während wir uns von Peter mit einem Kanu in die Mangroven rudern lassen, verfolgt mich noch lange der gequälte Blick der Schildkröte – und mein schlechtes Gewissen. Hätten wir das Tier nicht einfach an Ort und Stelle freikaufen sollen?

Fotosession am Strand: Sidi – zum Glück – wieder wohlauf

Die Fahrt auf dem Fluss gefällt uns, sie ist aber nicht weiter spektakulär. Die wenigen Tiere, die wir zu Gesicht bekommen, sind ein kleiner Waran, der über dem Wasser perfekt getarnt auf einem Ast sitzt, sowie silbrig glänzende Flusskrebse, die mit speziellen Fallen – aus Bast geflochtenen Körben – gefangen werden. Anschließend machen wir noch eine kleine Wanderung zum schönen, felsigen Coconut Beach, der auf halbem Weg zwischen Butre und Busua liegt.

Abenteuerliche Brücke

 

Zusammen mit Peter am Coconut-Beach

Der Heilige Abend verläuft feucht-fröhlich in gemischter Runde aus Österreichern, Franzosen und Deutschen. Phillippe deutet halb ironisch, halb resigniert auf eine Kette aus Lichtern draußen am Meer. „Merry Xmas! Die hab ich extra für euch bestellt! Was sagt ihr zu meiner Dekoration?“ Bisher hatte ich diese zwar wahrgenommen, mir allerdings keine weiteren Gedanken dazu gemacht. Uli reagiert zuerst: „Aber Lichtfischerei ist doch verboten!“ „Ja, das interessiert hier doch keinen.“, antwortete Phillippe. Traurig blicken wir auf das schaurig-schöne Spektakel am Horizont und schweigen. Als die Stille unangenehm wird, hebt einer von uns das Glas und verkündet: „Und übrigens: Frohe Weihnachten!“

Posing am Butre Beach

Trotz allem verbringen wir mit Nichtstun, Schreiben, Lesen und Schwimmen eine ganze wunderbar entspannte Woche im Fanta Folly’s Beach Resort. Um vor unserer Abreise unser schlechtes Gewissen zu beruhigen und den nächsten Schildkröten eine zweite Chance zu ermöglichen (die letzte landete leider wohl tatsächlich im weihnachtlichen Suppentopf der Dorfbevölkerung), spenden wir zusammen mit unserem Freund Matthias 100 USD für künftige Rettungsaktionen. Wer das Projekt ebenfalls unterstützen möchte, hier der Link zu Fanta Folly‘s Beach Resort und dem Schildkrötenhilfsprojekt.

Strandspaziergang

Wie wir Entspannung suchen und Stress bekommen

Frau Scherer in der Strandbar Last Hour Beach von Takoradi

Das Alaska Beach Resort in Busua wird seinem Namen wirklich nicht gerecht. Statt vor schneebedeckten Bergen stehen wir mit Frau Scherer unter Palmen am schönen, ausgedehnten Sandstrand und sitzen abends in Kumas improvisierter Reggaebar. Heppo möchte surfen und ich schreiben. Es könnte so schön sein, aber Sidi hängt ziemlich in den Seilen. Noch denken wir uns nichts Schlimmes und schieben seine Mattigkeit auf die schwüle Hitze. Irgendwann misst Heppo dann doch Fieber bei unserem Hund, und tatsächlich hat dieser knapp über 40 Grad Celsius. Nach seinem schrecklichen Zustand in Bamako, Mali sind wir natürlich hochgradig alarmiert. Im Internet recherchiere ich, dass es eine Tierklinik in der etwa 30 Kilometer entfernten Stadt Sekondi-Takoradi gibt. Um heute alle Zelte abzubrechen, ist es schon zu spät;  stattdessen verpasse ich Sidi wieder einmal Wadenwickel.

Die ganze Nacht schlafen wir kaum.  Heppo überprüft stündlich das Fieber, aber Sidi geht es unverändert schlecht. Um acht Uhr morgens sind wir dann bereits vor dem Veterinary Service Department. Wir sind erstaunt, dass fast ausschließlich Hundebesitzer vor der Tür warten und werten dies als gutes Zeichen. Tierärzte sind in Afrika meistens eher für Nutztiere wie Kühe, Ziegen und Schafe zuständig, Hunde wird auf dem Land ein eher geringer Wert beigemessen. Zwar dienen sie als Wach-, Hirten und Jagdhunde, werden aber bei weitem nicht so umsorgt wie bei uns. Dass wir hier also wertvolle Rassehunde und deren besorgte Besitzer sehen, lässt uns auf eine gute Behandlung hoffen. So ist es dann auch. Sidi bekommt von geübter Hand mehrere Spritzen verabreicht, u.a. ein fiebersenkendes Mittel, Antibiotika und etwas gegen Parasiten. Dabei macht er ein ziemliches Gezeter – er hasst Tierärzte. Gegenüber dem Arzt äußere ich unseren Verdacht,  dass Sidi immer noch unter den Folgen der Zeckenattacke von Nuakschott leidet. „Könnte er Borreliose oder etwas Ähnliches haben?“ Wir können unser Glück gar nicht fassen: Ein Labor ist gleich nebenan. Morgen sollen wir wiederkommen, um die Ergebnisse des Bluttests zu erhalten. Sidi atmet schwer, als wir ihn zurück zum Auto bringen;  er hechelt und sabbert. Wahrscheinlich ist es der Stress. Doch bald wird er ruhiger, seine Körpertemperatur normalisiert sich.

Last Hour Beach Bar

Am Last Hour Beach finden wir einen kostenlosen Übernachtungsplatz: Im Gegenzug ordern wir dafür die Getränke von der Bar. Hier lernen wir Uli und seinen Kollegen Robert kennen. Die beiden Deutschen wohnen seit vielen Jahren in Ghana und sind im Autoersatzteilhandel tätig. Während Uli sich als interessanter und netter Gesprächspartner erweist, wird uns Robert von Bier zu Bier immer unsympathischer. „Die Menschen in Ghana sind falsch, faul, dumm und unkultiviert!“, so redet er sich mit zunehmendem Alkoholpegel in Rage. Was wohl einen Rassisten dazu bringt, in ein schwarzafrikanisches Land auszuwandern? Robert gibt die Antwort gleich selbst: „Von meiner ghanaischen Frau lebe ich getrennt. Ansonsten habe ich mit den Schwarzen nichts mehr zu tun. Ich treffe mich nur noch mit Weißen!“

Die Stimmung ist nun ziemlich unterkühlt. Robert hat genauso wenig Lust auf uns wie wir auf ihn. Da wir ihm Paroli bieten, hält er uns für linke Gutmenschen. Er greift zum Telefon, bestellt tatsächlich bei einem Take Away Schawarma zum Selbstabholen und beeilt sich zu gehen. Wir sind erleichtert, dass wir ihn loshaben.

Die Sklavenburg

Filmtipp: Werner Herzogs umstrittenstes cineastisches Werk, Cobra Verde:
https://www.youtube.com/watch?v=Y_59rGasdds

St Georges Castle in Elmina

Das Fort São Jorge da Mina oder auch St. George’s Castle in Elmina ist uns in Deutschland bekannt als Drehort des Films von Werner Herzog: Cobra Verde. Klaus Kinski spielt darin den fiktiven Sklavenhändler Francisco Manoel da Silva. Millionen Afrikaner und deren Nachfahren, die heute in Amerika leben, verbinden diesen Ort aber mit dem sehr realen Trauma des Kolonialismus und seinen schrecklichen Folgen. Die Burg, die 1482 von den Portugiesen an der sogenannten Goldküste erbaut worden war, diente ursprünglich als Stützpunkt für den Handel vonGold, Elfenbein, Gewürzen und zunehmend aber auch für Sklaven. Dies blieb auch so, als die Burg Ende des 16. Jahrhunderts von den Niederländern erobert wurde und sogar noch, als die Festung 1872 an die Briten verkauft wurde.

Drehort des Filmklassikers Cobra Verde von Werner Herzog

Ghana feiert gerade (2019) das sogenannte Year of Return, eine groß angelegte Tourismuskampagne, die vor allem die afrikanische Diaspora in Nord- und Südamerika dazu anregen soll, das Land ihrer Herkunft zu besuchen. Im St George’s Castle stehen wir nun zusammen mit einem dunkelhäutigen Mann aus Amerika betroffen vor einer kleinen Tür, die vom Guide dramatisch “Door of no Return” genannt wird. Von hier wurden einst die Sklaven auf das Schiff verladen, um unter unmenschlichen Umständen auf einen anderen Kontinent verbracht zu werden. Wie Vieh wurden sie im Schiffsbauch liegend aneinander gekettet, die Männer auf dem Bauch liegend, die Frauen auf dem Rücken, damit sich die Seeleute ungeniert an ihnen bedienen konnten. Viele von ihnen überlebten die Reise nicht, und manche beginnen bereits vorher Selbstmord, indem sie vom Schiff sprangen, um im Meer zu ertrinken.

Im Innenhof der Sklavenburg

Die schrecklichen Geschichten bewegen uns, doch noch rührender finden wir die stumme Ernsthaftigkeit des jungen Amerikaners. Ich frage ihn, ob er alleine nach Ghana gereist sei. Einsilbig und etwas abwesend antwortet er: „Ja, allein!“ Ich wage es nicht, weiter auf ihn einzudringen und lasse ihn in Ruhe.

Das Frauenverlies

Übrigens bereits auf der Burg waren die Umstände schrecklich. Wieder traf es die Frauen am härtesten. Der Gouverneur hatte seine Wohnung direkt über ihrem Verlies; von einem Balkon aus konnte er die Gefangenen beobachten. Gefiel ihm eine besonders gut, ließ er sie über eine Leiter und eine Falltüre nach oben bringen. Einzig die Kinder dieser Verbindungen hatten etwas mehr Glück: Als Bastarde konnten sie in Elmina bleiben; manche von ihnen erhielten sogar eine Ausbildung.

Links (mit Totenkopf) die Zelle für die Schwarzen, rechts die Zelle für die Weißen

Wir haben genug für heute und wollen nicht mehr weiterfahren. Nach kurzer Verhandlung dürfen wir auf dem Parkplatz direkt vor der Burg übernachten. Heppo drängt darauf, noch durch den Ort zu schlendern. Doch der Spaziergang wird zur Herausforderung: Eine Bande 10-jähriger Buben hängt sich frech an unsere Fersen und macht sich einen Spaß daraus, mir auf den Hintern zu klopfen. Egal, ob späte postkoloniale Rache oder nur ein übler Scherz von Pubertierenden, mir wird es schnell zu viel. Trotz allem verströmt der Ort jedoch mit seinem Hafen, seinen Booten und sogar mit dem ungehobelten Verhalten seiner Jugendlichen das Flair einer echten, kleinen Piratenstadt.

Elmina hat das Flair einer richtigen Piratenstadt

Zurück im LKW können wir nicht schlafen. Es scheint, als ob der Geist Klaus Kinskis wiederauferstanden wäre. Vor unserem LKW steht einer. Er schimpft, schreit und spricht in unverständlichen Sprachen seinen wahnsinnigen Dauermonolog. Schließlich singt er sogar – alles direkt vor unserem Wohnmobil. Ist es ein Schauspieler, der seinen Text übt? Ein Wanderprediger? Ein Verrückter? Oder ein Besessener? Wir werden es erst am nächsten Tag erfahren. Erst dann traut Heppo sich, ihn nach seinen Motiven zu fragen. „I was talking with God!“, sagt der Mann, nun ganz ruhig, und wendet sich zum Gehen.

Blick auf Elmina, vom Fort aus gesehen.

Freunde

Elmina und Berit

Strand und Dschungel

Am Brenu Beach: Ton in Ton

Schon wieder eine Beerdigung! Seit zwei Tagen sind wir am traumhaften Brenu Beach; und genauso lange findet bereits eine dieser lauten und seltsam fröhlichen Beerdigungen statt. Die Gäste sind alle gleich angezogen, sie tragen schwarze und rote Festtagskleidung. Tagsüber marschieren Brassbands durch den Ort, nachts legen DJs auf, und es wird ausdauernd getrommelt- alles zu Ehren des Verstorbenen. Seltsam finden wir das , aber auch irgendwie schön.

Typische Fischerboote am Brenu Beach

Wir am Brenu Beach

Die Dorfkinder belagern uns. Manche sind frech und nervig, manche sind süß und lieb, andere sind vor allem geschäftstüchtig. Zwei Jungen tun sich besonders hervor. Sie beliefern uns täglich mit frischen Kokosnüssen und haben stets das passende Wechselgeld parat. Die Kokosnuss wird für uns mit gezielten Machettenhieben „geköpft“, damit wir das leckere Wasser trinken können. Danach zerlegen die Businessmen in spe die Kokosnuss in zwei oder drei Teile, aus denen wir das eiartige Fruchtfleisch löffeln können. Mit den Kokosnüssen, die man bei uns manchmal im Supermarkt kaufen kann und, deren Fruchtfleisch oft hart und zäh ist, haben sie nichts gemeinsam. Eine echte Offenbarung ist das für uns beide.

Dschungelwalk noch vor Sonnenaufgang

Im Kakum Nationalpark ist die Hauptattraktion für die meisten Besucher der sogenannte Canopy Walkway, ein Weg, der auf circa 40 Metern Höhe und 400 Metern Länge über 8 Hängebrücken führt. Bevor wir diesen aber betreten, haben wir eine 1,5 stündige Dschungeltour gebucht. Um 5 Uhr morgens soll es losgehen, doch Jussuf, unser Guide, lässt uns warten. Ziemlich verknittert taucht er gegen 5.15 Uhr auf. Da es noch dunkel ist, haben wir uns mit Taschenlampen ausgestattet. Jussuf zeigt sich botanisch bewandert und erklärt uns vor allem Bäume.

Dieses Blatt ist nicht aus Bronze…

Unter anderem weist er uns auf den sogenannten „Jungle Survivor“ hin,  der über Luftwurzeln köstliches Trinkwasser nach oben transportiert. Leidet man im Dschungel also an Durst, muss man nur eine der Wurzeln kappen, und schon kann man diesen stillen. Ein anderer Baum wird zum Färben verwendet. Sein Rinde wird angeritzt, und es tritt ein weißer Saft heraus, der sich jedoch bereits nach wenigen Minuten an der Luft zu Rostrot wandelt. Auch interessant ist eine etwa 30 Zentimeter hohe Pflanze, deren Wurzeln angeblich aussehen wie ein Hundepenis. Wahrscheinlich sagt man ihr deswegen eine herausragende aphrodisierende Wirkung nach, aber auch gegen Hüftbeschwerden soll sie wirken.

Urwald von oben

Ein paar Affen hüpfen über uns durch die Baumkronen, wirklich zu sehen bekommen wir sie aber leider nicht. Ansonsten ist die Tour nicht sonderlich spannend. Der größte Aufreger ist, dass wir von Ameisen attackiert werden, zum Glück sind diese von der harmlosen Sorte. Schmerzhaft sind ihre Bisse dennoch. In meiner weiten Stoffhose haben sie sich so breit gemacht, dass ich noch eine Stunde später die Folgen unseres morgendlichen Ausfluges zu spüren bekomme.

Der Canopy Walk im Kankum National Park

Selten ein Schaden, wo nicht auch ein Nutzen ist! Die Krabbeltierchen lenken mich immerhin von meiner Höhenangst ab. Todesmutig betrete ich die wackeligen Hängebrücken und bin ziemlich stolz auf mich, dass ich es gewagt habe. Und wir haben richtiges Glück: Wir sind so früh unterwegs, dass wir die Brücken komplett für uns alleine haben. Schön ist es, über die Kronen der Urwaldriesen zu blicken und zu sehen, wie der morgendliche Dunst dem Wald unter uns entsteigt. Nur die Affen machen sich leider rar. Zwar sind sie da, doch ihre Anwesenheit erkennen wir nur daran, dass es im Blattwerk raschelt und sich die Baumwipfel bewegen.

Aufsitzerpflanzen, die auf anderen wachsen, heißen Epiphyten